Eckert: Der Aachener Student

Vorwort zur Onlinefassung

1920 erschien aus Anlass des 50. Bestehens der RWTH Aachen, die Gedenkschrift “Die Technische Hochschule zu Aachen 1870-1920

Als Herausgeber fungiert Paul Gast, zu dem Zeitpunkt Rektor der RWTH (vergleicheListe der Rektoren).

Max Eckert, Professor an der RWTH mit besonders gutem Draht zu den Studenten, namentlich zu den Verbindungen und Begründer der heute noch vielgeliebten Aachener Mensa ;-) schrieb zu diesem Anlass einen Aufsatz, mit dem Titel “Der Aachener Student”.

Da das Buch nur schwer aufzutreiben ist (und im Antiquariat sogar ziemlich teuer!), habe ich mir die Mühe gemacht den Text einzuscannen und seine Form (nicht den Inhalt!!) aufzuarbeiten, um ihn anderen an der Geschichte der Aachener Studentenschaft interessierten Forschern zur Verfügung zu stellen.

Noch ein Hinweis: es handelt sich hierbei um einen historischen Quelltext, Gedanken die Professor Max Eckertim Jahre 1920 hatte, keineswegs geben die Texte die Meinung der alten Aachener wieder. Man bedenke, bitte auch:Eckert war ein Nazi! Das Aachener Hochschularchiv arbeitet dieses Kapitel seiner Geschichte gerade auf, mehr dazu in diesenArtikel vonArchivalia.

Viel Spass bei der Lektüre!

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Der Aachener Student

Von Max Eckert.1

Der Aachener Student im allgemeinen.

Gaudeamus igitur,
juvenes dum sumus.

Trotz mancher Schwierigkeiten hat sich im äußersten Westen Deutschlands eine Hochburg deutschen Wissens und Könnens entwickelt, die dem Vaterland bereits eine große Anzahl namhafter Führer in Industrie, Technik und Wissenschaft gegeben hat. In der Besucherzahl wird die Aachener Hochschule wegen ihrer Abgelegenheit von verschiedenen andern Hochschulen übertroffen, aber manche Zweige der technischen Wissenschaften waren in Aachen immer besonders gut vertreten und zogen eine große Zahl wißbegieriger junger Männer hierher. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist in Aachen immer tüchtig gearbeitet worden; das wissen die Studenten, die hierher kommen. Zu einem ausgesprochenen “Bummelleben” ist Aachen nicht geeignet, aber mit seiner herrlichen Lage, von waldigen Bergen umgeben, am Fuße des Nordabfalls der Eifel, bietet es Naturgenüsse von ungeahnter Schönheit, die ihresgleichen in deutschen Gauen suchen. Gerade die wunderbare Umgebung in nächster Nähe ist für jeden Geistesarbeiter eine Erholungsquelle von unschätzbarem Wert und macht dem Studierenden die Vergnügen und Genüsse anderer Hochschul-Großstädte reichlich wett.

Als im Oktober 1870 die “Rheinisch-westfälische polytechnische Schule” eröffnet wurde, konnte sich bei den wenigen Studenten, noch nicht Hundert an der Zahl, kaum ein rechtes studentisches Leben entwickeln. Nachdem der Bau des neuen Deutschen Reiches durch den Frankfurter Frieden gekrönt worden war, zog eine größere Anzahl Studenten in Aachen ein. Zum nicht geringen Teil waren es Mitkämpfer jener großen Zeit von 1870/71, und gern sah man auf Kneipen, Festlichkeiten und in der Aachener Gesellschaft die Ritter mit dem E.K.I und E.K.II.

Wie einfach war zu jener Zeit die gesamte Lebenshaltung! Ein Mittagstisch wurde mit 60 bis 70 Pfg. gezahlt und ein gar opulenter mit 1 M. Wie preiswert waren die “Buden”. Für ein Zimmer mit Frühstück zahlte man je Monat 18 bis 20 M., für zwei Zimmer 23 bis 25 M. Die Vollpension schwankte im Preis für einen Monat

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von 50 bis 60 M., heute bekommt der Student eine Vollpension, wenn sie überhaupt zu haben ist, kaum unter 600 M.

In nächster Nähe der Hochschule – ihr war ja in der Nähe des Templerbendbahnhofs nicht gerade eine glänzende Lage von der Stadt angewiesen worden – entwickelte sich das “quartier latin” und umfaßte in der Hauptsache Templergraben, Karlsgraben, Mauer-, Johanniter-, Eilfschornstein- und Jakobstraße. Wie billig waren Bier und Tabak, und wie bescheiden die Kneipen! Ein kleines Zimmer in irgendeinem Restaurant, hofwärts oder im ersten Stock gelegen, war das ganze Heiligtum, geschmückt mit wenigen Emblemen, dem Vereinswappen, wenn überhaupt ein solches vorhanden, aus Pappe an die Wand genagelt. Eo ipso mußte der braune Tabakkasten auf dem Tisch stets gefüllt sein, das Viertel zu einem “Kastenmännchen” (25 Pfg.). Der Vorrat wurde stets aus Vaals ergänzt. Im allgemeinen wurde Dortmunder Bier getrunken, das damals in der Brauerei “Rothe Erde” bei Aachen erstmalig nachgeahmt wurde. Außer der offiziellen Kneipe besuchte man gern die “besseren” Bierlokale, in denen das rheinische oder “köllsche” obergärige Weißbier verzapft wurde, wobei man sich für 10 Pfg. ganz nach Kölner Muster mit einem “halben Hahn mit Gemüse und Kompott”, d.h. eine Schnitte Brot mit Käse, Zwiebel und Senf stärkte. Die obergärigen Bierlokale haben auch in der Folgezeit, besonders im Sommer, ihre Zugkraft auf die Studenten ausgeübt. So einfach wie in früheren Zeiten war das Leben später nicht mehr. Der wachsende Wohlstand des deutschen Volkes prägte sich auch im Studentenleben aus, im Auftreten und in der Lebensweise des Einzelnen sowohl wie der Korporationen. Einem allgemeinen Zug der Zeit folgend, strebte jede bedeutendere Korporation, besonders wenn sie eine zahlungskräftige Altherrenschaft im Rücken hatte, danach, ein eigenes Kneipheim zu besitzen.

Als “Bierdörfer” waren Haaren, Horbach, Altenberg im neutralen Gebiet, Moresnet in Belgien, vorzugsweise Vaals in Holland geschätzt. Es kam da gar nicht darauf an, noch nachts, bezw. morgens 3 Uhr nach Vaals zu fahren, um im Austernhaus des alten Geller Einkehr zu halten und sich an holländischen Austern und Chablis zu ergötzen; auch schätzte man des “Hauses Attraktion”, die bildschönen Töchter des Wirtes. Nach dem Weltkriege, wo die belgischen und holländischen Grenzen gesperrt waren, wurden Eynatten und Hauset für den inoffiziellen Exbummel bevorzugt. Nachdem aber beide letztgenannte Dörfer von den Belgiern annektiert wurden. steigen Haaren, Würselen, Hitfeld und andere hoch im Werte als Bierdörfer. Unter den städtischen Konzert- und Tanzlokalen wurden “Eich”, das “Belvedere” auf dem Lousberg und “Bernards” fleißig besucht. Der Sonntagsbummel auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz vor dem Elisenbrunnen wurde fast für alle Studenten offiziell, heute hat er sich die Promenade (Monheimsallee) vor dem neuen Kurgarten als Paradefeld ausersehen. Von den altberühmten Bierkneipen “Elefant” (Dom-Hotel), “Altbayern”. “Kloubert” hat sich Kloubert, gegenüber dem Hauptgebäude der Hochschule, als altes, gutes Studentenlokal erhalten. In später Stunde wagte sich der Studierende auch in Lokale, die man im allgemeinen nicht als couleurfähig bezeichnet, so ins “Muschelhaus” (Peterstraße), oder ins Kaffee “Metz” (Hartmannstraße), wo sich das Kehraus zusammen fand, und man neben dem Kavalier in hohem Hut, dem Droschkenkutscher und Personen von zweifelhafter Distinktion eine “halbe gebratene Taube” aß und

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eine Berliner Weiße mit Schuß trank. Wer es ganz fein machen Wollte, ging in “Nuellens Bar”, um für 60 Pfg. eine “Prärieauster” zu schlürfen. Sehr bekannt War unter den Studenten das “Kolonialkaffee” des tüchtigen Wirtes Buchmeier mit dahinter gelegenem “Bierstübel”, wo sogar, Was für Aachener Verhältnisse ganz einzig dastand, “Heben” das geschätzte “Lichtenhainer” kredenzten. Als Buchmeier den “Postwagen” oder “Till Eulenspiegel” am Rathaus übernahm, zog er die Studenten nach sich, und heute noch erfreut sich der Postwagen der größten Beliebtheit nicht bloß bei den Studenten, sondern auch bei den Akademikern, die bereits in Amt und Würden sind.

Trotz des dünnen und teilweise recht minderwertigen Bieres, das jetzt in der Nachkriegszeit verzapft wird, hat sich der Student seinen Frohsinn nicht ganz rauben lassen; und von mancher Kneipe tönen wieder kecke und frohgemute Lieder in dunkler Nacht hinaus, nicht immer zum Ergötzen des mehr oder minder ruhebedürftigen Nachbars. Gesang gehört zum deutschen Studenten, besonders im sangeskundigen Rheinland. Unter den Studenten hat es stets bekannte Sänger gegeben. Ein hervorragender Sänger war z.B. Max Achenbach, der Sohn des berühmten Malers Andreas Achenbach in Düsseldorf; er gehörte der alten Landsmannschaft Teutonia an. Später ist er als Max Alvari ganz zur Sangeskunst übergegangen. Der Aachener Student selbst hat wertvolle Beiträge zum Liederschatz unserer Kommersbücher beigesteuert. Wer jemals das von R. Bodewig (Rheno-Borussiae) vertonte Lied “Wie ich ein Fuchs wurde” mitgesungen hat, wird die frische, herzhafte Melodie noch tagelang vor sich hinsummen. Das “Kleine Kommersbuch”, das als “ännchen-Liederbuch” weithin bekannt ist, birgt noch manche köstliche Melodie von Bodewig. Auch Liedertexte sind auf Aachener Boden entstanden, von denen einige über die Mauern Aachens hinweg in andere Musenstädte geflattert sind. Die bekanntesten unter ihnen dürften folgende sein:

Alma mater Aachen. (Melodie: “Heidelberg, du Jugendbronnen”.)

Aachen, freier Musensöhne altersgraue, treue Wacht,
sieht die Sonne dich, du schöne, schaut sie freundlich her und lacht.
Wo die Wurm in Feld und Hängen plätschernd ihre Bogen zieht,
in geheimnisvollen Klängen rauscht der Wald sein dunkles Lied.

Singt und sagt von grauen Zeiten, da in deiner Quellen Glut
hier die Glieder, müd vom Streiten, mancher Recke ausgeruht.
Und aus dumpfem Schildgedröhne, Schwertgeklirr und Haß und Streit
steigt empor die märchenschöne goldne Kaiserherrlichkeit.

Und von stolzen, freien Tagen raunt der Wald und rauscht und braust
von dem Grafen, der erschlagen liegt von freier Bürgerfaust.
Trutzig, wie dein Schmiedemeister, standest du in Sturm und Not.
Selbst der Herr der Höllengeister hat vergebens dich bedroht.

All die hehren Kronenträger sanken ins Vergessen schier,
und das Zepter ward zum Schläger, und zur Kneipe das Turnier.
Von der Väter Haß und Lieben künden dunkle Sagen nur,
doch ihr Durst ist uns geblieben, und Gambrinus schirmt die Flur.

Und so klingt und singt es heiter, wenn der Schläger
niedersaust; und die Engel singen’s weiter, daß es durch die Himmel
braust: Kaiserstadt, du jugendschöne, blühe fort in alter Pracht,
Aachen, freier Musensöhne altersgraue, treue Wacht l W. Hermanns.

 

Heidi! Der grüne Tisch! (Melodie- “Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust”.)

Wer nennt mir eine einz’ge Kraft im ganzen Weltenrund, die Kopfschmerz jemals hat verschafft
dem Ingenieur zur Stund ? Nicht Erdreichdruck,
nicht Wasserdrang, nicht Wasser

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Dampfgezisch! – Vor einem Druck nur wird’s ihm bang!
Der kommt vom grünen Tisch! Heidi ! Heida ! Juchhe ! Der kommt vom grünen
Tisch!

Es hat schon mancher Architekt entworfen auf Papier ein klassisch-gotisches
Projekt. sein Stolz war’s für und für. Doch ist der Bau erst ausgeführt,
verwundert jeder sich, daß man von Gotik nichts verspürt. – Das
kommt vom grünen Tisch! Heidi! Heida! Juchhe! Dem kommt vom grünen
Tisch!

Nur einen Glücklichen gab’s mal, der beides war zugleich;
er schuf die Welt mit Berg und Tal, schuf Fluß, Bach, Meer und Teich.
Es schuf nach eigener Idee der Herrgott keck und frisch; es drückte kein
Jurist den Zeh ihm unterm grünen Tisch! Heidi! Heida! Juchhe’ Ihm unterm
grünen Tisch !

“O lieber Gott! Es fleh’n zu Dir, gleichviel ob
Ingenieur, ob Architekten sind auch wir um gnädiges Gehör: Wenn
man ihn nicht abschaffen kann, den Tisch – weil einmal da so setze Techniker
daran! Dann grüner Tisch hurra!” Heidi! Heida! Juchhe! Dann grüner
Tisch hurra!

J.Siméon (Rheno-Borussiae).

Zu Aachen einst Student. (Melodie: “Wo zwischen grünen Bergen”.)

Wenn beim Kommers der traute Becher mit schäumend
Naß Euch hell erfreut, wenn in dem frohen Aug’ der Zecher sich Burschenherrlichkeit
erneut, dann denkt, auch ich bin jung gewesen, war auf der Kneipe stets Regent,
im Bierkomment gar sehr belesen – ich war zu Aachen einst, zu Aachen einst
Student.

Wenn auf Mensur der blanke Hieber haarscharf die tiefen Quarten
schlägt, wenn Euer Herz so frank und bieder nach holder Mädchen
Liebe frägt, dann denkt, auch ich bin jung gewesen, hab gern gefochten,
heiß auch brennt mein Herz noch heut für blonde Wesen, ich war
zu Aachen einst, zu Aachen einst Student.

Wenn Burschenlieder laut erklingen, wenn Aug’ in Aug’ und
Hand in Hand von Freundestreue Ihr höret singen, von Bismarck und vom
Vaterland, dann denkt, auch ich bin jung gewesen, hab mich begeistert stets
ohn’ End, mir treue Freunde auserlesen, ich war zu Aachen einst, zu Aachen
einst Student.

Oskar Simmersbach (Rheno-Borussiae).

Wie nach 1870, beobachten wir auch heute bei der gesamten Studentenschaft den schönen Zug zu gegenseitigem Einvernehmen und Verstehen. Stolz war man damals, wie heutigentags, keine konfessionellen Unterschiede zu kennen. Protestanten Katholiken und Juden hatten draußen vor dem Feind treu und fest die Wacht gehalten. Warum sollte in einem neu geeinten deutschen Vaterlande dieser unerquickliche Unterschied aufgerichtet werden? Durchstöbern wir die alten Mitgliederverzeichnisse der Korporationen und Vereine, finden wir überall auch den Juden, und auf Mensur stellte er so gut wie der christliche Couleurbruder seinen Mann. Selbst Ausländer finden wir in jeder Korporation vertreten, wobei man lediglich die persönliche Tüchtigkeit und Geeignetheit und nicht die Nationalität beurteilte.

Die Aachener Hochschule hat aus aller Herren Länder Gäste gesehen und beherbergt,. besonders in den ersten Jahren ihres Bestehens, dank der Propaganda durch Programme. die der Direktorv. Kaven über die ganze Erde hin zum Versand brachte. Mexiko, Brasilien, Kolombia, Argentinien, Peru, Nordamerika, Belgien, Holland, Frankreich. die Schweiz, Italien, österreich, Ungarn, Rumänien, Serbien, Griechenland, Russland, Polen, Finnland, England, Schweden, Norwegen, die Türkei, Japan und China hatten Studierende geschickt. Neben den Nordländern waren die Studierenden der Nachbarländer im allgemeinen am fleißigsten, die sich in besonderen Vereinen als “Hollandia“.

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und “d’Letzeburger” bis heute erhalten haben. Sie wissen auch, was sie der Aachener Hochschule zu danken haben, und die Hollandia, die während des Krieges suspendierte, verleiht gelegentlich einer am 26. November 1916 in Amsterdam abgehaltenen Versammlung des Altherrenverbandes und des Vereins in einem Schreiben an die Hochschule ihrer dankbaren Erinnerung an die genossene Gastfreiheit in Deutschland ganz besondern Ausdruck. Die Norweger und Schweden waren dem Direktor der Hochschule, v. Kaven gefolgt, als er von Hannover nach Aachen übersiedelte. Später blieben die Studenten jener Länder aus, haben sich aber in letzter Zeit wieder eingefunden. Freilich gab es auch Ausländer, die nicht gerade das Ansehen der Aachener Hochschule sehr hoben, indem sie weniger studienhalber als zur Benutzung der Aachener Schwefelquellen gekommen waren und, wie die witzigen Demokriten der Hochschule sagten, mehr “Merkurgäste” als “Kurgäste” waren. Wegen politischer Umtriebe wurden verschiedene Ausländer, hauptsächlich Polen, verfolgt. Es kam vor, daß sie in Aachen das akademische Bürgerrecht erworben hatten, in der Schweiz jedoch, wo sie sich meistens aufhielten, agitierten.

Wenige Jahre nach der Gründung des neuen Deutschen Reiches rauschten die Wogen des Kulturkampfes auch über das streng katholische Aachen dahin. Direktor v. Kaven, ein Parteigänger des “kulturkämpferischen” MinistersFalk, gestattete sich gelegentlich den Ultramontanen gegenüber bissige Bemerkungen und boshafte Anspielungen, die im Interesse der Hochschule besser unterblieben wären. Als bei einer Heiligtumsfahrt der Minerva auf dem Dache des Hochschulgebäudes von Studenten die Augen mit einem schwarzen Schleier verbunden worden waren, gab das Anlaß zu häßlichen Verdächtigungen gegenüber der Hochschule, und ähnlich wirkte die Zertrümmerung eines Kruzifixes an der St. Peterskirche, wovon aber nie erwiesen worden ist, daß tatsächlich Studenten die Urheber waren. In den katholischen Blättern Aachens und des Rheinlandes wurde vor dem Besuch der Hochschule gewarnt. Infolge dieser Gegensätze blieben auch die Reibereien zwischen dem katholischen Studentenverein “Carolingia” und den übrigen Korporationen nicht aus.

Nach dem Kulturkampf besserte sich das Verhältnis mit den katholischen Vereinen, und wurde erst wieder etwas getrübt, als im Wintersemester 1894/95 die Frage aufgeworfen wurde, ob die “Carolingia” Vorsitzende im Ausschuß des allgemeinen Studentenvereins sein könne, da sie weder bedingte noch unbedingte Satisfaktion gäbe. Ein Dezennium später, als im Sommer 1904 der katholische Studentenverein Wiking begründet worden war, lebte der Zwist noch einmal auf. Sogar die Zeitungen beschäftigten sich mit dem Streit und wurden von Rektor und Senat ersucht, über die Angelegenheit nichts zu veröffentlichen, bevor ihnen Authentisches mitgeteilt werden könne. Die nichtkonfessionellen Korporationen und die Wildenschaft richteten eine Anfrage an Rektor und Senat, ob nicht der beste Weg zur Beseitigung konfessioneller und politischer Zwistigkeiten unter der Studentenschaft in einem Verbot jedweder Korporation konfessionellen Charakters zu erblicken sei. Der Senat war einstimmig der Ansicht, daß kein Anlaß vorläge, die Frage der Auflösung der konfessionellen Korporationen zu erörtern. Von den Aachener katholischen Vereinen wurde geltend gemacht, daß die Bezeichnung “katholischer Studentenverein” in keiner Weise eine Absonderung aus irgendwelchen Absichten des konfessionellen

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Gegensatzes bedeute, sondern das grundsätzliche Bestreben, die Religion als das höchste Idealgut in systematischer Weise für geistige und sittliche Entwicklung des Studententums zu verwerten.

Den Bemühungen des damaligen Rektors, Borchers, gelang es, den Zwist zu schlichten, und in den neuen Satzungen des Ausschusses der vereinigten nichtkonfessionellen Korporationen und Wildenschaft kam zum Ausdruck, daß es auch den Mitgliedern der konfessionellen Vereine freistehen sollte, Mitglieder des Ausschusses zu werden.

Die Frage des Verhältnisses zu den konfessionellen Vereinen hatte zugleich mit der Beschränkung akademischer Freiheit durch ministeriellen Eingriff nicht bloß die Gemüter Aachens erhitzt, sondern in fast höherem Maße die der anderen deutschen Hochschulen. Trotz aller Achtung vor ihrem guten Streben wurden die konfessionellen Korporationen auf dem von Studenten einberufenen Verbandstag Deutscher Hochschulen in Eisenach vom 11. bis 15. März 1905 nicht anerkannt.

Viele Ideale sind durch den Weltkrieg vernichtet worden, auch solche des Studententums; aber zu den wenigen erfreulichen Folgen gehört das Zusammenfinden der verschiedenen Korporationen, ob schlagend oder nicht schlagend, ob konfessionell oder nicht konfessionell, zu gemeinsamer Arbeit. Ein glänzender Beweis schöner Einstimmigkeit war es, daß am 5. Juni 1920 gelegentlich der Feier der Gründung der katholischen Studentenverbindung “Kaiserpfalz” durch die ältere Verbindung “Franconia” ein Montane, cand. rer. met. Hübers, als Vertreter der “Vereinigung der Aachener Korporationen” (V.d.A.K.) in seiner Ansprache, in der er die Zusammenarbeit der gesamten Korporationen gebührend hervorhob, folgendes ausführen konnte:

“Ich brauche hier nicht darauf einzugehen, was das Korporationsleben für die einzelnen Akademiker und für die Gesamtheit des akademischen Standes bedeutet, möchte jedoch nicht verfehlen, auch auf seine Bedeutung für das ganze deutsche Volk hinzuweisen, denn das Gefühl der selbstverständlichen Pflicht zur verantwortlichen Arbeitsleistung im Dienste der Gesamtheit kann nirgends besser als in den Korporationen gedeihen. Den Korporationen, wie dem gesamten Akademikerstande drohen schwere Gefahren. Der “Student” ist als Hüter der Reaktion verschrien, weil er sich noch anständige Gesinnungsart und pflichtgetreuen Arbeitseifer bewahrt hat. Mit Schrecken muß jeder Gebildete das Niveau sehen, auf das gewisse Kreise mit der für sie allein seligmachenden Gleichmacherei und Verflachung die Akademiker herabzudrücken suchen, wenn sie eine abweichende politische Meinung zu haben sich erlaube: Besonders alles, was Korporationsstudent heißt, erfreut sich der besonderen Vorliebe diese Kreise, die, so lange sie Gelegenheit dazu haben, nichts unversucht lassen werden, ihnen unbequeme Institutionen zu schädigen. Bis heute ist ihnen dieses aber bei den Korporationen noch nicht gelungen; es wird in der Zukunft die vornehmste Aufgabe der Korporationen sein, das kostbare Gut der akademischen Freiheit zu hüten und die aus den Vorkriegszeiten übernommene gute Tradition, die akademischen Rechte und Freiheiten, aber auch die Pflichten und guten Sitten zu wahren und sich dabei den neu geschaffenen Verhältnissen anzupassen, zu unserem und der Allgemeinheit Besten. Ich kann es nur bedauern, wenn von Zeit zu Zeit in der Presse immer noch Artikel erscheinen, die die Verschiedenheiten studentisches Korporationsrichtung in sachlich nicht begründeter und übertriebener Weise betonen und Zwietracht säen. Es liegt ein so weites Arbeitsfeld für studentische Verbindungen aller und Richtungen vor, daß man nur wünschen kann, daß alle, die bisher stets zur Stelle waren wenn für die Studentenschaft irgend etwas gearbeitet werden mußte, auch fortan bei gemeinsamer Arbeit, unter Beiseitelassung aller trennenden Schranken ihre Kräfte vereinigen, um deutscher Sitte und deutscher Art zur baldigen Genesung zu verhelfen.” –

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Daß am Ende des Sommersemesters 1920 bei den Tenniswettspielen ein Rheno-Borusse (Turnerschaftler) gegen einen Kaiserpfälzer (katholische Studentenverbindung) spielte und ein Korpsstudent (Marko-Guestfale) Schiedsrichter war, wäre in früheren Zeiten nicht möglich gewesen.

Im großen und ganzen kann man sagen, daß das Verhältnis der inkorporierten Studenten zu den Wilden während der vergangenen fünfzig Jahre, wenn auch nicht ungetrübt, so doch leidlich gewesen ist, wenigstens ein viel besseres, als man es an anderen Hochschulen wahrnehmen konnte. Wie an jeder Hochschule waltete eine mit mehr oder minder Geschick zusammengeschweißte Studentenvereinigung oder ein Studentenausschuß des mühevollen Amtes die Interessen der gesamten Studentenschaft wahrzunehmen. Nicht immer gelang es die Studenten unter einen Hut zu bringen, und die Reihenfolge der Korporationen und der Vertreter der Wildenschaft oder Finkenschaft bei festlichen Gelegenheiten, wie bei Fackelzügen, Kaiser- und Bismarckkommersen blieb immer ein strittiger Punkt.

An der Aachener Hochschule war es zuerst der 1871 gegründete “Polytechniker-Verein”, der neben wissenschaftlichen und geselligen Zwecken der allgemeinen Vertretung der Studenten dienen wollte. Daneben bestand, wie an den meisten Hochschulen, ein Ausschuß (Neunerausschuß) zum Zwecke der Vertretung allgemeiner Interessen der Studierenden, der somit als das eigentliche Organ der Allgemeinheit anzusehen war. Beide Einrichtungen litten unter gegenseitiger Konkurrenz, indem der Polytechnikerverein seine Mitglieder bald nur bei seinen großen Festen um sich sah und zu einem bloßen Leseverein herabsank, der Ausschuß hingegen aus Mangel an regelmäßigen Beiträgen sich in häufiger Geldverlegenheit befand. Darin lag zugleich die Gefahr der Zersplitterung, vor allem jedoch die Ohnmacht bei etwa notwendig werdendem gemeinsamen Handeln. Diese Gefahr und der berechtigte Wunsch der Studierenden, nach innen und außen fest zusammenzuhalten, waren es, die auf das einfache Mittel hinwiesen, den Polytechnikerverein mit dem allgemeinen Ausschuß zu verschmelzen. Die Idee fand Anklang, und so lösten sich im Sommersemester 1874 die beiden alten Vereinigungen auf, und auf einer gemeinschaftlichen Versammlung konstituierte sich der “Allgemeine Polytechniker-Verein”, dem die überwiegende Mehrheit der Studierenden beitrat. Obwohl die Direktion der Hochschule den Ausschuß dieses Vereins als alleiniges Organ der Polytechnikerschaft anerkannte, wurde von den akademischen Vereinen Delta und Demokrit geltend gemacht, daß der Ausschuß des Vereins nicht als alleinige Vertretung aller Studierenden angesehen werden könne, da er einen urecht ansehnlichen Jahresbeitrag” erhöbe.

Im Juli 1880 kam es zu einem Statutenentwurf für den “Ausschuß der Studentenschaft an der Kgl. rheinisch-westfälischen Technischen Hochschule zu Aachen”, worin es hieß, daß die Studentenschaft einen Ausschuß bestellt, der ihre gemeinsamen Interessen nach innen und außen zu vertreten hat. Doch auch auf dieser Basis wurde keine wirklich allgemeine Vertretung erreicht, und es kam zu einem neuen Statutenentwurf (1883) des “Studentenverbandes der Technischen Hochschule zu Aachen”, der dem allgemeinen Deutschen Polytechnikerverband angehörte. Als Anhang seiner Statuten sehen wir zum erstenmal “die Statuten der Krankenkasse”. Als der Verband sich mehr und mehr die Rechte eines Vereins anmaßte,

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mußte der Senat unter dem Rektorat des Prof.Dürre erklären, daß er kein Verein sei, der die Befugnis besitze, Mitglieder und Korporationen auszuschließen. Darauf löste sich der Verband am 16. Mai 1888 auf. Nicht vergessen sei, zu erwähnen, daß in den achtziger Jahren jeden Donnerstagabend 8 1/2 Uhr ein Lokal in der Stadt als Treffpunkt der gesamten Studentenschaft bestimmt wurde.

Am 13. Juni 1888 werden die Statuten eines geplanten “Allgemeinen Studentenvereins” dem Senate vorgelegt, doch ist er nie in die Erscheinung getreten, wohl aber die am 22. März 1890 gegründete “Vereinigung der Studierenden und Hospitanten der Kgl. Technischen Hochschule zu Aachen”. Der Ausschuß dieser Vereinigung bestand nach den Satzungen von 1893 aus fünf Mitgliedern, zwei davon hatten die Korporationen zu stellen, einen die Nichtinkorporierten, die beiden andern wurden von einer zu diesem Zwecke einberufenen Versammlung gewählt. Der Ausschuß bestand bis zum Jahre 1898.

Trotz der guten Vorsätze ist es eine eigentümliche Erscheinung, daß all die Gründungen von Vertretungen und Ausschüssen für die allgemeinen Studenteninteressen kurzlebig waren, zunächst mit großer Begeisterung gebildet wurden und schließlich sanft entschliefen. Am Anfang des neuen Jahrhunderts wurden zu ihrer Wiederbelebung Schritte von Seiten der Professorenschaft getan. Um der ausschußlosen Zeit ein Ende zu bereiten, wurde auf Anregung des Prof.Borchers vom Senat eine obligatorische Vertretung der ganzen Studentenschaft einschließlich der Wilden ins Auge gefaßt. Die gute Bewährung solcher Vertretungen an andern Hochschulen war für Rektor (v. Mangoldt) und Senat mitbestimmend gewesen der Angelegenheit näher zu treten. Die von Senatsmitgliedern ausgearbeiteten und von Seiten der Studierenden in den wesentlichen Punkten unverändert gelassenen Satzungen wurden von der Studentenversammlung am 19. Juli 1901 mit großer Majorität angenommen. Danach setzte sich der “Ausschuß der Vertreter der Studentenschaft” zusammen aus je einem Vertreter der beim akademischen Senat angemeldeten Korporationen, die mindestens vier Semester an hiesiger Hochschule bestanden, und aus Vertretern der nicht inkorporierten Studenten, deren Zahl durch die Anzahl und die Besuchsziffer der an der Hochschule bestehenden Fachabteilungen bestimmt wurde.

Selbst dieser Ausschuß, der recht wohl geeignet war, die gesamte Studentenschaft zu vertreten, wurde durch die Bewegung erschüttert, die 1904 wegen der bedrohten akademischen Freiheit und der Frage der Daseinsberechtigung konfessioneller Korporationen durch die ganze deutsche Studentenwelt ging. Auf sie wurde oben bereits hingewiesen. Infolge der durch sie hervorgerufenen großen Meinungsverschiedenheiten im Ausschuß löste sich dieser bald von selbst auf. Erst im Sommer-Semester 1905 fand sich ein Teil der Studierenden zu einem neuen “Ausschuß der vereinigten nicht konfessionellen Korporationen und der Wildenschaft” zusammen. Aber auch der konnte sich nur wenige Semester halten, im Sommer-Semester 1908 fing eine Korporation nach der andern an abzubröckeln, und am 10. Dezember 1908 erhielt der Rektor die Anzeige, daß der Ausschuß sich aufgelöst habe. Im folgender. Jahre sah sich der Rektor Hertwig veranlaßt, bei Gelegenheit des Henrici-Claßen-Kommerses für alle studentischen Veranstaltungen einen Modus zu finden, der Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen der Studentenschaft ausschließen sollte.

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In der Folgezeit hielten sich die Korporationsstudenten ziemlich abseits, nur die Nichtinkorporierten suchten den wünschenswerten Zusammenhalt herbeizuführen und gründeten zu diesem Zwecke am 17. Februar 1910 die “Freistudentenschaft”. Ihre Grundlage war die Hauptversammlung der Nichtinkorporierten. Diese wählte das Präsidium, das für das folgende Semester die Leitung der Organisation in Händen hatte, die Freistudenten bei offiziellen Gelegenheiten vertrat und der Hochschule gegenüber verantwortlich war. Dem Präsidium zur Seite stand der Beirat, dessen wichtigste Aufgabe war, innere Angelegenheiten der Freistudentenschaft zu beraten und Wünsche oder Beschwerden zur Sprache zu bringen. Zur Verwaltung gemeinnütziger Einrichtungen bestanden ämter. Es wurden Abteilungen gebildet zur Pflege von Kunst und Literatur, Musik und Gesang, von geselligen Spielen (Kegeln, Skat, Schach, Billard), der Photographie und der Stenographie. Die Tätigkeit der Aachener Freistudentenschaft wurde auch durch den Krieg zunächst nicht unterbrochen, da eine Anzahl jüngerer Semester die Geschäfte übernehmen konnte. Die Mehrzahl der ämter und Abteilungen gingen infolge Mangels an Arbeitskräften ein, wohl auch deshalb, weil ein Bedürfnis nicht mehr bestand, dagegen wurde ein neues Amt gegründet, das sich der Pflege der Verwundeten eifrig annahm. Hier betätigten sich vor allem die weiblichen Kommilitonen der Freistudentenschaft, die durch Unterrichtskurse und Unterhaltungsabende das Los der in der Hochschule (Reiffmuseum und Talbothalle) untergebrachten Verwundeten zu erleichtern suchten. Auch die Abteilung für Musik und Gesang stellte sich ganz in den Verwundetendienst. Da der Kreis der tätigen Freistudenten immer kleiner geworden war, suspendierte die Freistudentenschaft im Frühjahr 1916. Nach Beendigung des Krieges, der auch unter den Aachener Freistudenten viele Opfer gefordert hatte, wurde von einer Neubegründung der Freistudentenschaft Abstand genommen, weil an der Wahl eines “allgemeinen Studentenausschusses” auch die Wildenschaft beteiligt und damit das Hauptbedürfnis einer Neugründung nicht mehr vorhanden war.

Durch die nach Kriegsende herbeigeführten veränderten Zeitverhältnisse traten an die Studentenschaft andere und schwerer wiegende Forderungen als früher heran, und es hieß jetzt bei aller Achtung der Sonderinteressen der einzelnen Korporationen und Gruppen einmütig zusammenstehen; denn wenn unser todkrankes Volk gesunden soll, müssen gerade seine geistigen Führer zeigen, daß nur in bestem Einvernehmen und in engster Zusammenarbeit das Heil zu suchen ist, und daß an ihrem Beispiel sich die andern aufrichten können. Diese Erkenntnis hat sich uns allen aufgedrängt und in der Studentenschaft besonders tiefe Wurzeln geschlagen. Aus diesem inneren Drang heraus hatten sich die hiesigen Studenten bereits am 13. Januar 1919 zu einer Versammlung zusammengefunden, um über Vertretung aller berechtigten Studenteninteressen und die Schlichtung von Gegensätzen, die in der Studentenschaft auftreten, zu beraten und schlüssig zu werden. Damit waren die Bestrebungen zur Bildung eines “Allgemeinen Studentenausschusses” (“Asta”) eingeleitet, dank der Bemühungen der Studierenden der Hüttenkunde Jungbluth und Schrupp. Letzterer war der erste Vorsitzende und wurde am 5. Juli 1919 einstimmig zum Vertreter der Technischen Hochschule für den allgemeinen Studententag in Würzburg gewählt. Dort zu erscheinen und teilzunehmen war bei den herrschenden politischen Verhältnissen keine geringe Aufgabe.

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Mit dem Anfang des Jahres 1920 trat der Asta in sein volles Wirkungsbereich. Er ist ein Glied einer Organisation, die sich gegenwärtig über sämtliche deutsche Hochschulen erstreckt; er ist hervorgegangen aus der gleichen, allgemeinen, geheimen und direkten Verhältniswahl aller Studierenden der Deutschen an der Hochschule Aachens. Wahlzwang besteht nicht. Aktives Wahlrecht haben alle reichsdeutschen Studierenden, passives alle Studenten und Studentinnen (ausschließlich der Hörer), die mehr als vier Semester an einer deutschen Hochschule immatrikuliert sind. Der Asta besteht für Aachen jetzt aus 19 Mitgliedern. Die Amtsdauer beträgt ein Semester. Der Asta ist die Vertretung aller reichsdeutschen Studierenden der Technischen Hochschule Aachens. Er ist zuständig für alle Angelegenheiten allgemein studentischer Natur und kann für alle Studenten bindende Beschlüsse fassen und Abmachungen treffen. Sein Zweck ist die Interessenvertretung und wirtschaftliche Fürsorge für die Studentenschaft. Darum wahrt er die Interessen aller Studierenden, verhandelt mit den Behörden, regelt das gemeinsame Auftreten der Studentenschaft, fördert die kulturellen und sozialen Interessen der Studenten, veranlaßt den Anschluß an gleichartige und ähnliche Vertretungen und hat täglich Sprechstunden und Auskunfterteilung für Studierende.

Der Asta ist offenbar als eine segensreiche Einrichtung an der Hochschule zu betrachten. Wohl wird es nicht immer leicht sich ihm zu fügen. Der einzelne wie die Korporationen sind gezwungen über kleine Eifersüchteleien hinwegzusehen. So wird sich der Asta mit als vorzügliche Schule erweisen, über die Parteien hinaus am kulturellen und wirtschaftlichen Aufbau unseres Vaterlandes tätig und ersprießlich mitzuarbeiten.

Schon vor dem Kriege war es erfreulich zu bemerken, daß der Student von Jahr zu Jahr größeres Interesse an den sozialen Fragen der Zeit gewann. Heute gehört die sozialpolitische Orientierung und Ausbildung zum anerkannten Recht der Studierenden. Waren früher Hörsaal, Kneipe und Paukboden meist die drei Angelpunkte des Studentendaseins, ist der Student von heute bereits ein bewußter Mitarbeiter an den großen völkischen, sozialen und ethischen Aufgaben des deutschen Volkes. Der Studierende der technischen Hochschule hat dem der Universität gegenüber einen großen Vorzug, indem er das werktätige Leben nicht bloß in der Theorie, sondern auch in der Wirklichkeit kennen lernt. Als Berg-, Hütten- oder Maschinenmann muß er während seines Studiengangs ein Jahr praktische Arbeit leisten, wo er mit dem arbeitenden Volke direkt in Berührung kommt und dessen Wünsche und Bedürfnisse, Lebensverhältnisse und Anschauungen weit besser kennen lernt als der Durchschnitt der Universitätsstudenten. Das bessere Verstehen des Volkes wirkt auf das bessere Verstehen untereinander und umgekehrt. Verschiedene Einrichtungen hat die Hochschule geschaffen, die den Weg für das gegenseitige Einvernehmen und soziale Verstehen ebnen.

Der Boden, auf dem kurz vor dem Kriege die ansehnlichen Erfolge der Jugendpflege durch die Studierenden erzielt wurden, war durch die Akademische Turn- und Spielvereinigung (A. T. S. V.) gegeben worden. Diese geht auf das Jahr 1906 zurück, wo sie, nachdem eine vorbereitende Versammlung unter der Leitung des Rektors v. Mangoldt stattgefunden hatte, von Mitgliedern des Lehrkörpers und,

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Studierenden als eine “Vereinigung zur Pflege der Leibesübungen an der Königl. Technischen Hochschule zu Aachen” begründet wurde. An der Spitze der Vereinigung standen Prof. M. Schmid-Burgk und Prof. H. Junkers (seit 1908 der erstere) und Prof. M. Eckert. Die Vereinigung bezweckt die Förderung der körperlichen Ausbildung im Kreise der Angehörigen der Hochschule. Der Beitritt steht jedem Mitglied des Lehrkörpers und der Studentenschaft frei. Im Gegensatz zu den andern großen Vereinigungen, die die gesamte Studentenschaft umfassen, besteht der Vorstand lediglich aus Mitgliedern der Dozentenschaft, die von den Studierenden gewählt werden; damit wird dem Vorstand eine größere Stabilität gegeben, und das Bild der Zusammensetzung nicht mit jedem Semester geändert.

Von einer ausführlicheren Darstellung der Entwicklung der A. T. S. V. kann hier abgesehen werden, da schon bei Gelegenheit der Einweihung der Turnhalle, nach dem Stifter “Talbothalle” genannt, am 21. Juni 1914 Prof. Schmid-Burgk in einer Sonderschrift die Geschichte der A.T.S.V. geschrieben hat. Es sei hier erwähnt, daß Prof. Schmid-Burgk in der tatkräftigsten Weise die A.T.S.V. gefördert hat, wie überhaupt die sportlichen Interessen Aachens. Dankbar sind ihm die Studenten, wie auch dem akademischen Turnlehrer Mönkeberg, der durch sein Können und die Frische seines Auftretens nicht bloß auf dem Turnboden, sondern auch beim Wandern und auf der Kneipe sehr geschätzt wurde.

Innerhalb der A.T.S.V. wurden zwecks besserer Betätigung der einzelnen sportlichen Zweige verschiedene Ausschüsse gebildet, so für Fußball, Leichtathletik, Schlagball, Schwimmen, Tennis, Turnen, Reiten, Boxen, Wandern und Wintersport. Vor dem Kriege hatte jeder Ausschuß reichlich Arbeit für sein Sondergebiet. Die Rasenspiele erfreuen sich wie seither großer Beliebtheit und Beteiligung. Jetzt (S. S. 1920) ist Reiten und Boxen noch nicht wieder in Gang gekommen; sobald die teuern Geräte für letzteres neu angeschafft sind, wird dieser Sport, der, richtig betrieben, nicht roher als etwa Fußball oder Hokey ist, wieder seine Teilnehmer finden. Auf das Reiten dürften die Studierenden schon aus pekuniären Gründen jetzt auf längere Zeit verzichten. Vor dem Kriege gehörten gegen 30 Studierende zur Reitriege. Viele werden sich gerne des Reitfestes erinnern, das zur Einweihungsfeier der Talbothalle in der Reitbahn des akademischen Reitlehrers H. Dibbert am 21. Juni 1914 stattfand. Auch das Wandern, durch das in der Hauptsache die Reize der Eifel erschlossen wurden, lockte viele Studenten an. Wo die silberklaren Eifelbäche Gelegenheit zum Baden boten, wurde sie ausgiebig benutzt. Der Hangeweiher war im Sommer der Tummelplatz der akademischen Schwimmer; eine Abteilung badete sogar bei Eis und Schnee den Winter hindurch.

Die Akademische Turn- und Spielvereinigung hatte bereits mehrere Mal Gelegenheit, sich auswärts an größern allgemeinen akademischen Sportveranstaltungen mit Erfolg zu betätigen. Auf dem akademischen Olympia Leipzig 1913 wurden verschiedene Preise errungen, ferner auf dem ersten Rheinischen Akademischen Sportfest am 19. Juli 1914 in Köln. Im 800-m-Lauf, Weitsprung, Diskuswerfen, in der 4×100-m-Hochschulstafette und im turnerischen Vierkampf stand Aachen mit obenan. Selbstredend konnten die Aachener Akademiker am Ende des Sommersemesters 1920 auf dem Rheinischen Hochschulwettkampf in Bonn und dem Akademischen

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Olympia in Hannover nicht fehlen, um sich auch da Lorbeeren zu pflücken. Burschenschafter, Turnerschafter und Nichtkorporierte sind Preisträger bei diesen Wettspielen gewesen. So erweist sich die A.T.S.V. als ein guter Boden, auf dem das gegenseitige Verstehen wachsen und blühen kann. Insonderheit sei noch darauf hingewiesen, daß die A.T.S.V. auch mit der Turnerschaft Rheno-Borussia, dem ältern, schon lange an unserer Hochschule bestehenden Turnverband, in erfreulicher Weise zusammenarbeitet, und die Rheno-Borussia als Mitglied der R.T.S.V. angehört.

1914 erhielt die A.T.S.V. eigene Tennisspielplätze auf dem Gelände der Hochschule. Sie nehmen einen Teil des großen Spielplatzes ein, der sich inmitten des Hochschulgeländes befindet. Das ist von großem Vorteil für die Spielenden. Ohne großen Zeitverlust durch An- und Abmarsch zum und vom Spielplatz ist eine körperliche Ertüchtigung möglich. Es war eine weise Vorsehung in der Baugeschichte unserer Hochschule, das nötige Gelände für Turn- und Sportinteressen innerhalb des Bauplanes der neuen Hochschulgebäude freizuhalten. Der Sportplatz ist die Lunge, mit der die Hochschule atmet!

Zwischen Tennisplätzen und großem Sportplatz (60×120 m groß) wurde nach dem trefflichen Entwurfe des Dipl.-Ing. Sturm ein kleines Klubhaus erbaut, für dessen Errichtung die Aachener und Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft, die allzeit der Hochschule mit reichlichen Geldspenden unter die Arme griff, 10 000 M. stiftete. Quer zur Hauptachse des Spielplatzes wurde von Prof. Sieben die Turnhalle erbaut, zu der von Geh. Kommerzienrat Dr. Ing. G. Talbot, der für die Bedürfnisse der Studierenden der Aachener Hochschule immer ein Herz und eine offene Hand gehabt hat, die Mittel gewährt worden sind. Die Turnhalle selbst ist 14 m breit und 29 m lang; sie besitzt an Nebenräumen noch eine Kleiderablage für 80 Schränke, einen Wasch- und Duschraum, ein Lehrerzimmer, einen Erfrischungsraum und eine Kleiderablage für Damen. Der Dachstock ist zu drei Fechtsälen und Nebenräumen ausgebaut worden. Der ganze Bau ist zweckmäßig und zeichnet sich durch Einfachheit wie Schönheit aus. Die Kosten des Baues und der Inneneinrichtung haben 135 200 M. gefordert. Durch die Talbothalle ist den Aachener Studenten ein akademisches Turn- und Sporthaus ersten Ranges gegeben.

Wer hätte damals bei der Einweihung der Turnhalle Ende Juni 1914 geglaubt. daß der in ihr kaum begonnene Turn- und Sportbetrieb nur zu bald zum Stocken kommen würde und die Halle ganz anderen Zwecken dienen sollte als denen, für die sie bestimmt und eingerichtet war! Während des ganzen Krieges war sie Lazarett und nach der Besetzung Aachens durch die Alliierten diente sie Einquartierungszwecken. Eine Kompagnie Franzosen hatte sich häuslich in der Turnhalle niedergelassen. Als es Ende Februar 1920 gelang, die Halle und das Nachbargelände von der Einquartierung frei zu bekommen, sollte die Talbothalle dennoch nicht voll und ganz ihrer alten Bestimmung zugeführt werden.

Das Elend, das nach der Hungerblockade einsetzte, und die damit verbundene Teurung haben das Studieren derartig schwierig und kostspielig gemacht, daß mancher brave Vater nicht mehr daran denken kann, seinen Sohn dem Studium zuzuführen Das ist eins der traurigsten Zeichen unserer Zeit. Um nur einige Semester im Studium durchzuhalten, müssen viele sich durchhungern. Infolgedessen ist Unterernährung

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bei den Studierenden keine seltene Erscheinung. Wie aber kann der Geist etwas leisten, wenn der Körper nicht die nötige Kraft besitzt? Hier zu helfen ist heiligste Pflicht jeder Hochschule. Auch das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hat sich eingehend mit der Notlage der Studenten befaßt.

In Anbetracht der schwierigen Ernährungsverhältnisse in Aachen und der dadurch vielfach mit verursachten Abwanderung von Studierenden beauftragten Rektor und Senat am Anfang des Jahres 1920 den Prof. Eckert, die Einrichtung einer “Mensa academica” vorzunehmen. An die Verwirklichung dieses Planes wurde sofort herangeschritten. Zunächst wurde die Stadt angegangen, irgendein geeignetes Gebäude zur Verfügung zu stellen. Diesem Wunsche stellten sich allerhand Schwierigkeiten entgegen. So entschloß man sich denn schweren Herzens, die Talbothalle der Hochschule als Studentenspeisesaal einzurichten. Die Hälfte der Halle blieb dem Turnbetrieb offen erhalten. Eine Baracke, die durch Entgegenkommen des Roten Kreuzes Herbesthal zur Verfügung gestellt wurde, ist neben der Turnhalle aufgebaut worden, und in ihr wurde die Küche eingerichtet, die unter der segensreichen Obhut der Franziskanerinnen steht. Durch das Entgegenkommen von Wohltätigkeitseinrichtungen größerer Industrieunternehmungen war es möglich, am 18. Mai 1920 die Mensa academica zu eröffnen. Wurde anfangs mit einer Höchstzahl von 300 Studierenden nebst Assistenten und Dozenten gerechnet, stieg die Teilnehmerzahl in wenigen Wochen auf mehr als das Doppelte, gewiß ein schlagender Beweis sowohl für die Notwendigkeit wie für die Güte der Einrichtung. Im Abonnement kostete das Mittagessen, aus Suppe und einem Gang bestehend, 4 M. und das Abendessen, eine dicke Suppe mit Zubrot, 3 M.

Im Winter-Semester 1919/20 sind gemäß des Ministerialerlasses vom 3. Oktober 1919 die Bestrebungen in der Studentenfürsorge an der Technischen Hochschule Aachen in stärkerem Maße als bisher in Angriff genommen und gefördert worden. Hier in Aachen, an der westlichen Grenze des Reiches, haben die Wirkungen des Krieges und der inneren Umwälzungen die Studentenschaft mehr als anderswo in Mitleidenschaft gezogen. Lehrkörper wie Studentenschaft sind beide gleich interessiert, den Gefahren, die heute dem Studium sowohl wie den Studierenden drohen, zu begegnen. An der Hochschule ist von vornherein darauf gesehen worden, daß die Bestrebungen für soziale Fürsorge einen starken Rückhalt am akademischen Lehrkörper besitzen. Die Professoren Schmid-Burgk und Eckert waren die Vertrauenspersonen, die in Gemeinschaft mit dem Rektor Wallichs die Verbindung mit der Studentenschaft aufnahmen, wobei gewisse allgemeine Richtlinien für die sozialen studentischen Bestrebungen maßgebend waren.

Neben der Mensa academica ist eine Kantine eingerichtet, in der sich die Studierenden in Zwischenstunden oder nach Stunden des Spieles und Turnens erquicken können. Zwecks Regelung des Einkaufs von Nahrungsmitteln für die Mensa academica ist von Hochschullehrern und der Studentenschaft ein “Verein Studentenwohl Aachen” (E. V.) gegründet worden. Ihm gehören jetzt bereits über 600 Mitglieder an. In den Ausschuß gehören außer Prof. Eckert als 1. Vorsitzender und Prof. Maegde als 2. Vorsitzender neun Studierende, unter denen sich um die innere Einrichtung und Verwaltung die Studenten Hansen, Maas und Esser große Verdienste erworben haben.

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Eine mißliche Angelegenheit war die Beschaffung der Gelder für die Einrichtung und Inbetriebsetzung der Mensa academica. Dankbar sei der ersten Unterstützung gedacht, die der Mensa durch die Gesellschaft der Freunde der Aachener Hochschule, das Rote Kreuz Herbesthal, die Stadt und die Regierung zuteil wurde, indessen reichte sie bei weitem nicht aus, um die ersten größeren Anschaffungen und Ausgaben zu bestreiten. Dank dem Entgegenkommen der Bürgerschaft und industrieller Kreise Aachens gelang es bald, eine Summe von weit über 200 000 M. zusammenzubringen und so die Mensa academica auch finanziell auf sichern Boden zu stellen. Es wird indessen noch weiter gesammelt, und die Mittel, die über die Bedürfnisse der Mensa academica hinausgehen, sollen zur Pflege der geistigen Gemeinschaft für die Einrichtung eines einfachen, den Zeitverhältnissen entsprechenden “Studentenheims” verwendet werden. In ihm soll auch dereinst die Mensa academica untergebracht und die Turnhalle alsdann ihrem eigentlichen Zweck zurückgegeben werden. Die ProfessorenEckert undFolkerts sind im Verein mit der Studentenschaft an der Aufbringung dieser Mittel zu einem Aachener Studentenheim tätig. Gerade ein solches Heim ist, wie es die Mensa academica jetzt schon zeigt, so recht die Stätte des wünschenswerten Burgfriedens, auf der sich die Studierenden verschiedenster Richtungen treffen, achten und verstehen lernen.

Als 1914 der Krieg ausbrach, gingen auch in Aachen die Wogen der Begeisterung hoch. Gegen 300 Studierende, an ihrer Spitze die ProfessorenHaußmann (jetzt in Charlottenburg) undEckert, stellten sich als Kriegsfreiwillige. Von den in den Krieg gezogenen Studenten, Assistenten und Dozenten der Aachener Hochschule kehrten annähernd 200 Mann nicht mehr zur alma mater zurück; sie fanden den Heldentod auf französischer und flandrischer Erde oder fern in Rußland und Kleinasien.

Sie alle hatten es anders erwartet, als wie es gekommen ist. An ihnen hat es nicht gelegen, daß das große Ringen zu unsern Ungunsten ausschlug. Hätten alle wie sie ausgehalten und ihren Mann gestellt, die Weltgeschichte zeigte heute ein anderes und sicher besseres Gesicht, von deutscher Schmach wäre nimmermehr die Rede gewesen. Tieftraurig zogen die überlebenden zu ihrer Musenstadt zurück. Welcher Umschwung in 50 Jahren! Tiefernst das Gesicht, das Herz zusammengekrampft; aber noch lodert in der Burschenbrust die heilige Flamme echter Vaterlandsliebe, noch gibt der deutsche Student sein Volk nicht verloren. Jetzt heißt es arbeiten und wiederum arbeiten, das deutsche Vaterland wieder hoch zu bringen. Und der Student weiß zu arbeiten und kann gerade heute manchen andern Arbeitern als Vorbild dienen. Wer ein rechter Führer des Volkes werden will, muß selbst arbeiten können und wahre und tiefe Bildung des Geistes und Gemüts besitzen. Die Worte aus der Festrede des Direktors v. Kaven bei der Eröffnung der Hochschule am 10. Oktober 1870 bleiben auch heute noch zu Recht bestehen: “Eine strenge, sich selbst auferlegte Disziplin, die Entbehrung und Kampf zu keiner Zeit scheut, hat die größten Männer gebildet, und diese auf das Pflichtgefühl und deshalb Müssen gegründete Erziehung hat die deutsche Nation zu der mächtigsten der Welt gemacht.” Hier ist der Weg zur Wiedergeburt von Deutschlands Größe gezeigt. Sie wird erreicht, indem der deutsche Student zum Führer auf diesem Weg. der jetzt schwieriger und dornenvoller als ehedem ist, heranwächst. Er weiß, was er

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für des Vaterlandes Zukunft zu bedeuten hat. Und wer jetzt Zeuge gewesen ist von den Stiftungsfesten, die im Sommer-Semester 1920 von den einzelnen Korporationen, ganz gleich, ob sie schlagend oder streng konfessionell waren, gefeiert wurden, dem wird es warm ums Herz geworden sein bei den kerndeutschen markigen Worten, die die Richtlinien für Deutschlands Zukunft zeichneten, und dem vaterländischen Geist, der wieder in studentischen Vereinen pulsiert. Solange Deutschland solche Studenten hat, wird Deutschland nie zugrunde gehen.

Ein beredter Interpret studentischer Gefühle war der schwerverwundetestud. rer. met. Jungbluth, als er, nachdem am Montag, den 11. Mai 1920, nach langer, durch die Besatzung hervorgerufener Wartezeit die Gedächtnisfeier für die Gefallenen der Hochschule stattfinden konnte, die durch eine Ansprache desProf. Schwemann eingeleitet wurde, folgende Rede hielt:

Ist es eigentlich noch notwendig, gerade hier in Aachen daran zu erinnern, was wir den gefallenen Kommilitonen danken? Wir alle, die wir schon vor dem Kriege hier waren, haben es noch zu frisch in der Erinnerung, wie im August 1914 die Erregung den Höhepunkt durch die Kriegserklärung erreichte. Zu nahe liegt die alte Kaiserstadt an der Grenze, als daß zu ernster Besorgnis keine Veranlassung gewesen wäre. Nur der glänzende Aufmarsch unserer Heere, die Hingebung und Todesverachtung unserer Truppen haben uns hier vor dem drohenden Unheil bewahrt. Die Hingebung der Truppen! Wer denkt da nicht freudig an die ersten Kriegswochen, als die stolze Verödung der Hörsäle einsetzte, als sich tausende von Akademikern freiwillig zur Fahne stellten! Und einige Monate später begann das große Sterben in Flandern und an anderen Fronten. Edelstes deutsches Blut wurde vergossen, Deutschlands Zukunft lag auf dem Schlachtfelde.

Dankbar wollen wir unserer gefallenen Kommilitonen gedenken! Sie, meine Herren, die Sie den zermalmenden Schritt der Kriegsfurie im zerstörten Kampfstreifen der Fronten mit eigenen Augen sahen, Sie, die Sie die Bitternis miterlebten, die das Evakuieren von Ortschaften in der Kampfzone für die Bevölkerung mit sich brachte – kläglich schleppte sie einen gar kleinen Bruchteil ihrer Habe mit sich fort und wußte, daß sie später nichts wiederfinden würde -, Sie, meine Herren, werden es mir bezeugen, daß wir das Glück nicht hoch genug schätzen können, den Feind vom Lande abgehalten zu haben, dank der Tapferkeit unserer Heere, dank der Hingabe unserer gefallenen Kameraden.

Traurig wollen wir ihrer gedenken! Gewiß, im Rausch des Angriffs, den Feind vor Augen, auf den wir uns schon seit Monaten so gern gestürzt hätten, da fällt es leicht, den Sprung ins Ungewisse zu wagen, den Sprung selbst gegen Maschinengewehre, den Sprung selbst durch das feindliche Sperrfeuer. Wohl dem, der da einen glücklichen Tod fand! Aber wir überlebenden – wer gedenkt nicht mit tiefster Wehmut der Stunden, wo die Bataillone und Regimenter nach heißen Gefechtstagen sich zum Appell sammelten, wo so mancher liebe Kamerad fehlte, mit dem uns ein festes Band innigster Freundschaft verknüpfte, ein Kommilitone, ein Mitkämpfer im wahrsten Sinne des Wortes.

Voll Stolz wollen wir ihrer gedenken! Nicht jedem war ein leichter Tod beim Angriff beschieden. Wir alten Soldaten – mit Grauen denken wir alle zurück an jenen entnervenden, zermürbenden Stellungskrieg, der uns allen so verhaßt war wie seine tückische Feigheit; mit Grauen denken wir alle zurück an jenes Trommelfeuer, das an die passive Widerstandskraft des Menschen so außerordentliche Anforderungen stellte, und dessen wahrer Schrecken, dessen psychologische Wirkung doch kaum je wiedergegeben werden kann. In diesem Feuerwirbel auf seinem Posten auszuhalten, einen Opfermut bis zum Tode zu beweisen, erfordert eine solche stählerne Härte des Willens, daß wir nur stolz darauf sein können, solche Männer in Deutschland gehabt zu haben. Ein Gedanke beseelte sie alle, einem Ziele strebten sie zu: Deutschlands Größe und Deutschlands Freiheit.

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Der Dank des Vaterlandes ist Euch gewiß!” Wie häufig hörten sie dies Wort, wie gläubig nahmen sie es hin. Nun, laßt uns den gefallenen Kommilitonen den Dank abstatten, den sie von uns fordern können. Nicht mit schönen Redensarten wollen wir es tun. Sie waren. Männer der Tat. Danken wir ihnen durch die Tat, erweisen wir uns ihrer würdig, hüten und hegen wir ihr Vermächtnis. Ein gar stolzes Wort prägte einer unserer erbittertsten Gegner “Niemals davon reden, immer daran denken.” Wenn wir es mit deutschem Geist erfüllen, so kann es auch uns Richtschnur für das Leben sein. Woran dachten unsere lieben Toten. woran sollen auch wir denken? An Deutschlands Vergangenheit und an Deutschlands Zukunft. Nachdem der Krieg unglücklich für uns ausgelaufen ist, sucht man jetzt so gern nach Schuld und Fehlern. Die Welt und sogar eigene Volksgenossen halten es manchmal für nötig, unser altes Heer und unsern alten Staat zu beschimpfen. Ich denke hier nicht an berechtigte Kritik über Mängel der taktischen oder strategischen Leitung, über Fehler, die man dem Offizierkorps nachweisen zu müssen für gut hält. Ich denke an die Greueltaten, die man unseren Soldaten vorwirft, die Gewalttätigkeiten. Ich will nicht alles abstreiten. Wohl aber mache ich energisch Front gegen die maßlosen übertreibungen, die selbst von unseren Mitbürgern geglaubt werden. Sie müssen jeden alten Frontsoldaten zur entbranntesten Opposition reizen. Denken Sie daran, daß man mit diesen Entstellungen auch unsere tapferen Gefallenen schmäht. Lassen Sie sich nicht irre machen. Ein Volk, das fünf Jahre lang dem Druck der ganzen Welt hat standhalten können, das Helden wie Bölke, Richthofen, Weddigen hatte, das kann nicht so schlecht sein, als manche es jetzt hinzustellen belieben, das ist groß! Machen wir es wie unsere gefallenen Brüder, denken wir groß von Deutschlands großer Vergangenheit, denken wir groß von seinem Verzweiflungskampfe, in dem sich seine Einheit und Kraft offenbarte.

Es ist jetzt so beliebt, Preußen als das Unheil Deutschlands hinzustellen. Mag dem sein. wie ihm wolle. Unstreitbar ist aber, daß Preußen im Laufe der Jahrhunderte gewaltige Energien entwickelt hat Nicht zu Unrecht sagt man, es habe sich groß hungern müssen. Gestehen. wir ruhig und klar die Fehler in der preußischen Eigenart ein, aber überblicken wir nicht seine gewaltigen Vorzüge. Seien wir stolz darauf, daß dieses Land die Einigung Deutschlands zustande gebracht hat, denken wir immer an dieses Ruhmesblatt deutscher Geschichte, das so vielen in Ost und West ein Stein des Anstoßes ist, und bleiben wir treu der große schönen, deutschen Heimat, die uns doch über alles in der Welt geht. Die großen Toten der großen Vergangenheit sollen stets in uns lebendig bleiben als frischer Quell deutscher Kraft Es kommt doch einst die Zeit, wo sie auch in der Welt wieder gewürdigt werden.

Gerade der Gedanke an den verlorenen Krieg dürfte ein recht fruchtbarer sein. Der Krieg ist zu Ende, der Kampf noch nicht. Mit Geschütz und Maschinengewehr wird er freilich nicht weitergeführt. Ein geistiger Ringkampf ohnegleichen setzt jetzt schon ein. Niedergeschmettert sind wir durch die übermacht des Materials unserer Gegner. Denken wir. wie unsere Gefallenen, an Deutschlands Zukunft. Es gilt jetzt nicht, Schuldfragen aufzurollen flammende Anklagereden zu halten gegen Verhältnisse, die wir doch nicht ändern können. Es gilt, unermüdlich und unter einer nie geahnten Anspannung jahre- und jahrzehntelang zu arbeiten oder meinetwegen auch zu fronen für das Wohl Deutschlands. Kühne Pioniere haben wir nötig, die entschlossen den Weg durch das Dickicht von Haß, Unverständnis Demütigung und materieller Not bohren, Männer, die den Kampf mit dem Leben genau so mutig, genau so selbstlos aufnehmen, wie unsere Verblichenen den Kampf mit dem Feind. Sie schauten in die Zukunft, sie sahen den Stern Deutschlands leuchten in der finstern Nacht des Kampfes. Es gilt jetzt mehr als 1914! Es gilt nicht, den Besitz zu verteidigen, es gilt neu aufzubauen, eine schwere, aber auch eine edle Arbeit. Es kommt mir so vor. als sei das ganze Deutschland ein Kriegsinvalide, und da kann man ihm das Wort zurufen, das auf Plakaten in allen Krankensälen für Amputierte hing: Es gibt kein Krüppeltum, wenn der eiserne Wille da ist, es zu überwinden. Gerade wir Techniker sind dazu berufen. dieses stählerne Gesinnungsmark unserem deutschen Volke einzuflößen. Wir Ingenieure haben es ja doch in mancher Beziehung noch leicht, wir können direkt durch die Tat helfen. Ohne materielle Möglichkeiten läßt sich eine Kulturhöhe nicht halten. Mit jedem Waggon Kohlen,

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mit jeder Tonne Stahl können wir unser Teil zum Aufbau Deutschlands beitragen.

In zäher, angespannter Arbeit müssen wir ihn erringen.

Es ist die Stunde der Erinnerung.

Mit Trommelklang und Pfeifengetön manch frommer Held ward begraben, auf grüner Heid gefallen schön, unsterblichen Ruhm tut er haben.

Kein schönrer Tod ist in der Welt, als wer vorm Feind erschlagen; auf grüner Heid, im freien Feld darf nicht hör’n groß Wehklagen.

Unsterblichen Ruhm sollen sie haben. Zum letzten Gruße entblößen wir unser Haupt und senken die Fahnen und Schläger vor Euch unbesiegten Helden!”

Professor und Student.

Wenn das gegenseitige Einvernehmen zwischen Professor und Student eins der Kriterien der Güte einer Hochschule ist, steht die Aachener Hochschule vielen andern voran. Sei es, daß sich auf exponiertem Posten die Kräfte besser zusammenschließen, oder sei es, daß sich in Aachen schon das rheinische Geblüt mehr kund gibt, das Verhältnis von Professor und Student ist ein ausgezeichnetes gewesen, von der Gründung der Hochschule an bis auf den heutigen Tag.

Denkt der Student an seine Bildungsgeschichte zurück, bleibt er gerne bei Personen stehen, zu denen er sich vorzugsweise hingezogen fühlte, denen er einen großen Teil seines Wissens verdankt, oder die ihm im Verkehr besonders “originell” vorkamen. In unserer schnellebigen, nervös hastenden Zeit scheinen indes die sog. “Originale” unter den Professoren ausgestorben zu sein. Oder haben wir Jetztlebenden nicht den Sinn für die Beurteilung solcher Persönlichkeiten der Gegenwart, und muß erst die historische Ferne die Personen verklären und zu origineller Größe herausarbeiten? Darum kann es nicht wundernehmen, wenn wir hier bei den Professoren und deren Eigenheiten stehen bleiben, die in den ersten Dezennien des Bestehens der Hochschule in Aachen tätig waren.

Allen voran steht der Direktorv. Kaven. Er erfreute sich einer Beliebtheit, die weit über das Maß des gewöhnlichen Verhältnisses zwischen Professor und Studenten hinausging. Dazu befähigten ihn ein ausgesprochenes Verständnis und Mitgefühl für studentische Leiden und Freuden. Besonders haben ihn seine witzigen Reden auf studentischen Kneipen berühmt gemacht; sie stiegen weniger im offiziellen als inoffiziellen Teil der. Kneipe, auf der sog. “attischen”, wie es damals hieß, der gewöhnlich noch eine “dorische“, “jonische” usw. bis zur X-Fidulität folgte. Ein Schüler v. Kavens sagt von diesen “Bierpauken“, daß sie “von einem prächtigen Humor durchweht waren, und dennoch steckte in mancher scherzhaften Wendung eine tiefe Lehre, noch fehlte es an satirischen Seitenhieben auf Auswüchse des studentischen Treibens und allzu übermütige Streiche”. Sicher war v. Kaven ein geistreicher und humorvoller Mann, der aber die eine Schwäche hatte, andere zu hänseln. Vielleicht war das ein Grund, daß mit den Jahren sein Einfluß nach außen und innen abschwächte. Er bereitete sich dauernd vor, auch sein Witz war fleißig vorbereitet.

Die Art der Kavenschen Bierreden war bei Dozenten und Studierenden nicht ausgestorben und wurde besonders von dem Technologen Prof.Herrmann weiter gepflegt. Jede Rede gipfelte in einem witzigen Vergleich zwischen irgendeiner tech

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nischen Erscheinung und einem Auswuchse im studentischen Leben. Der Witz war ganz dem v. Kaven nachgebildet, hatte aber den Vorzug, nicht dessen Schärfe zu haben. Daß ein so witziger Kopf wie Herrmann ein gesuchtes Mitglied des Aachener Karnevalvereins war, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Sein Ausspruch, daß “er der größte Narr unter den Professoren und der größte Professor unter den Narren sei“, hat ihm auch dort eine gewisse Berühmtheit verliehen. Daß auch die neuere Zeit in humorvoller Weise zu den Studenten zu sprechen weiß, wissen wir aus den Reden der ProfessorenHenrici,Schmid-Burgk u.a.m. Und wurde vor dem Kriege auch manchmal über die Stränge gehauen, der Stab über der Jugend Torheit wurde auch da nicht gebrochen. Jetzt ist keine Zeit zu tollen Streichen. Die ernste Gegenwart hat auch den Student wesentlich ernster gestimmt.

Die originellste Erscheinung der alten Zeit war sicher der Mathematik-ProfessorKarl Hattendorff , gleich v. Kaven außerordentlich bei den Studenten beliebt. Als er noch Junggeselle war, ging er jeden Morgen nach dem Kolleg zum Bahnhof Templerbend, um seinen Frühschoppen zu trinken und die Zeitung zu lesen. Die Studenten wußten gleichfalls das gute Bier auf dem Bahnhof zu schätzen und sie fanden sich oft zahlreich mit Prof. Hattendorff zusammen und tranken ihm die Blume weg, wenn er sie nicht innerhalb der kommentmäßigen fünf Bierminuten angetrunken hatte. War es im Sommer recht warm, erteilten sich Professor und Studenten gegenseitig die Erlaubnis, den Rock im Hörsaal ausziehen zu dürfen, wobei einmal unter homerischem Gelächter bemerkt wurde, daß der Herr Professor hinten an seiner Hosenschnalle einen mächtigen Schlüssel angebunden hatte. Mit der deutscher. Sprache stand er dauernd auf Kriegsfuß. Er hat es nicht übelgenommen, als ein Student auf seinen Anschlag am Schwarzen Brett geschrieben hatte: “Koarl, in den Stil bin ich dich über.

Das Gegenstück von Hattendorff war der berühmte StatikerRitter. Schon in Hannover, von wo aus er auf Veranlassung v. Kavens nach Aachen berufen wurde war er wegen seiner Anforderungen an Wissen und Können der Zuhörerschar gefürchtet. Ritter war eine große, würdige Erscheinung; er lebte als Junggeselle und war wegen seiner übertriebenen Pünktlichkeit beinahe berüchtigt. Als er nach einem halbjährigen Kranksein wieder ins Kolleg kam, begrüßte ihn im Namen der Zuhörerschaft ein Student in begeisterter Rede, worauf Ritter antwortete: “Ich danke Ihnen, meine Herren, wir kommen nun zu einer anderen Eigenschaft des materiellen Punktes” und fuhr genau an der Stelle in seinem Kolleg fort, wo er vor einem halben Jahre stehen geblieben war.

Im Anfang der Aachener Hochschule gab es außer für Hoch- und Tiefbau keine besonderen Prüfungen, das Diplomexamen wurde erst Mitte der siebziger Jahre eingeführt. Am Anfang des Jahres 1874 fand auf der Regierung zu Aachen die erste Prüfung zum “königlichen Bauführer” statt. Wer auf sich etwas hielt und ein Zeugnis über seine Leistungen haben wollte, mußte nolens volens an den Repetitionen von Ritter teilnehmen. Selbst in der studentischen Dichtung waren sie nicht vergessen, wie wir es oft in einem Liede vonJ. Simeon (Rheno-Borussiae) gesungen haben, der es auf die sich “studienhalber” in Aachen aufhaltenden Studenten gedichtet hatte.

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Bekenntnisse eines jungen Semesters.

(Melodie: “Ich war in der Schule sehr brav.“)

Ich kam einst zur Hochschule her, da fiel mir Mechanik
sehr schwer. Ich bin von Natur etwas träg, ging deshalb nicht oft ins
Kolleg. Einst trat ich ans schwarze Brett, da fand einen Anschlag ich nett:
“HerrRitter
hat Repetition”, ich mußte wohl hingehen schon. Er frug: “Mein
lieber Student, was ist ein Drehmoment?” – “ja! – das weiß
ich nicht, das versteh ich nicht, davon hab ich noch nie etwas gehört.“

Ich habe natürlich belegt, wasIntze
frühmorgens vorträgt. Doch kam ich nicht häufig hieher, weil
Kater mich quälte gar sehr. Des Nachmittags ging ich einmal zum Intzeschen
Zeichensaal, da trat der Professor hinein. Ich grüßte ihn höflich
und fein. Er trug mich ganz galant nach einem Blockverband. – “Ja! –
das weiß ich nicht, das versteh ich nicht, davon hab ich noch nie was
gehört.”

Darstellende Geometrie, die machte mir auch viele Müh’.
Und wenig besuchte ich nur den Vortrag des HerrnSchur.
Moralischer quälte mich sehr, ich dachte, so geht es nicht mehr, und
spannt einen Bogen mir auf, Figuren zu mimen darauf. Ein Paraboloid mir der
Professor riet. – “ja! – das weiß ich nicht, das versteh ich nicht,
davon hab ich noch nie, was gehört.”

Physik und Mathematik, die schwänzte ich auch mit
Geschick. Zur Frühschoppenzeit hab ich nie geliebt reine Theorie. Sobald
das Portal ist zu End, verlaß ich die Hochschul behend. Jetzt fragt
nur ganz ungeniert, wie man sich beim Biere geriert, fragt nach Gesetz und
Rang, enthalten im Bierkomment! – “ja! – das weiß ich schon, das
versteh ich schon, davon hab ich schon etwas gelernt.”

Die Barbarafeiern der Bergleute und der Hüttenleute, die Weihnachtskneipen der einzelnen Korporationen gaben den geeigneten Boden, wo sich Dozent und Student in ungezwungener, herzlicher Weise näherkamen. Dem “Herrn Professor” wird da in manch ulkigem Vers und manch scherzhaftem Geschenk seine Eigenheit und sein Lehrfach drastisch und humorvoll vor Augen geführt, und das alles in einer Art und Weise, daß beide Teile gern an diese Feiern zurückdenken. Eine Episode aus älterer Zeit verdient hier gleichfalls festgehalten zu werden. Es war zur Delta-Weihnachtskneipe 1897, als Prof.Intze seinen Besuch zugesagt hatte. Man war schier in Verlegenheit, was man ihm schenken sollte. Damals plante er die Talsperrenanlage im Riesengebirge. Zu nämlicher Zeit erschien auf den Bühnen “Die versunkene Glocke” von Hauptmann, in der bekanntlich die Wald- und Wassergeister der schlesischen Berge eine Rolle spielen. Der Deltaner N. Holz, seit 1896 Professor an unserer Hochschule, hatte vorgeschlagen, Prof. Intze den Text “der versunkenen Glocke” zu schenken und dazu folgendes Gedicht verfaßt:

Auf Schlesiens Bergen wächst ein Wein,
Doch soll da auch viel Wasser sein,
Und daß es fließet Tag für Tag,
Daran ist schuld der Niederschlag.
Es schrieb der Herr Minister Dir:
Was hier zu tun, das rate mir.”
Und Du sagst kurz mit klarem Blick:
Halt oben hoch die Flut zurück.”
Wenn’s regnet aber gar zu sehr,
Dann wird die Zeit ereignisschwer:
Es wächst und schwillt die Wasserflut
Im Nu vernichtend Hab und Gut.
Dein Rat ist gut, das ist gewiß,
Nur seh ich noch ein Hindernis:
Denn nicht geheuer, wie ich mein,
Soll’s im Gebirg’ der Riesen sein.

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Rautendelein, die Zauberfee,
Die treibt ihr Wesen in der Näh’,
Und Waldschrat ist ein arger Geist,
Wie die “versunk’ne Glocke” weist
Am meisten sei, ich rat Dir gut,
Vor Waldschrat stets auf Deiner Hut,
Damit er nicht, gibst Du nicht Acht.
Die Mauern umwirft über Nacht. –
Dem tausendjähr’gen Nickelmann
Sind alle Wasser untertan,
Und nutzen wird’s Dir sicherlich,
Wenn Du mit ihm befreundest Dich.
Dieweil mir nun am Herzen liegt,
Daß überall die Technik siegt
So wählte ich bei mir zu Haus
Dir die versunk’ne Glocke aus.
Studiere drin von heute an
Den Waldschrat und den Nickelmann,
Und kennst Du ihres Wesens Kraft,
So trink mit ihnen Brüderschaft.

Als im Juni 1900 Prof.Intze an dem Delta-Stiftungsfest teilnahm, überreichte er nebst einem Zinnkrug das Antwortgedicht:

Auf Deinen Rat, und der war gut!
Faßt ich zum Forschen neuen Mut:
Studiert Waldschrat, so viel ich kann,
“Mechanik III ” nach Nickelmann.
Die Zauberfee hat nun vollbracht,
Was Delta glücklich ausgedacht:
Die Brüderschaft, sie ist getrunken
Und freundlich ward mir zugewunken:
Rautendelein hatt’ es vernommen,
Daß ich mit Deltas Paß gekommen,
Um jener Geister Macht und Denken
Zum Heil der Technik umzulenken.
“Was Du und die Deltaner sinnen,
Zum Wohl der Menschen hier beginnen,
Das sei geschützt durch Riesen-Geister,
Durch Nickelmann, den Wassermeister.
Der Krug hier gebe Delta Kunde:
Wir wirken stets mit Euch im Bunde,
Wenn große Arbeit Euch hier winkt,
Und Kraft Ihr aus dem Kruge trinkt.”

Dies Gedicht, wie das von Holz, waren auf dem Zinnkrug, der noch heute ein wertvoller Besitz des Korps Delta ist, eingraviert. Den Humpen hat Intzes Sohn, der Bildhauer Fritz Intze, verständnis- und geschmackvoll modelliert. Den Henkel bildet Rautendelein, den Deckel Nickelmann, vorn sieht man Intze mit Nickelmann und Waldschrat Brüderschaft trinken und ringsherum allerhand sinnige Figuren.

Trotz der bedeutenden Kräfte, die von Anfang an an der Hochschule wirkten, nahm der Besuch der Hochschule nicht so zu, wie man erwartet hatte. Im Gegenteil, er blieb bedenklich zurück. Die sog. “Gründerzeit” hat reichlich Schuld daran wie auch die Aachener unerquicklichen konfessionellen Streitigkeiten, auf die bereits hingewiesen wurde. Erst Mitte der achtziger Jahre hob sich wieder der Besuch. Zur Zeit der Ebbe ging von der studentischen Vereinigung “Demokrit” der heitere Vorschlag aus, da auf jeden Dozenten nur zwei bis drei Hörer entfielen, wäre es das rationellste für die Studenten, gleich in die Hochschule zu ziehen und anstatt drei Jahre dreißig Jahre zu studieren.

In der Vorlesung steht der Student dem Professor vollständig passiv gegenüber. Erst die Praktika und übungen, vor allem die Exkursionen lassen Dozenten und Studenten einander näher kommen. Von jeher wurden die Exkursionen an der

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Hochschule gepflegt. In dem ersten Dezennium des Bestehens der Hochschule waren es weniger die Dozenten, die zu Exkursionen aufforderten, als vielmehr die Studenten selbst. So lesen wir in den ersten Jahresberichten des Vereins der Chemiker und Hüttenleute, daß während des Semesters in jedem Monat drei bis vier Vorträge gehalten und ebensoviele Exkursionen unternommen wurden. Die erste große Exkursion, die von der gesamten akademischen Bürgerschaft nach Hamburg unternommen wurde, veranlaßte Prof.Henrici. Allmählich wurden die Exkursionen ein wichtiger Bestandteil des Lehrbetriebes, der sich organisch in das Lehrgebiet der einzelnen Dozenten eingliederte.

Die modernen revolutionären Bestrebungen, die dem Studenten direkten Einfluß auf die Zusammensetzung bezw. Wahl des Lehrkörpers oder auf Prüfungsangelegenheiten geben, fanden in Aachen keinen Nährboden. Natürlich wird man es dem Studenten nicht verdenken, daß er, wo jetzt die Freizügigkeit von einer Hochschule zur andern an allerlei Hemmnissen scheitert, auf eine gewisse Vollständigkeit der Besetzung der Fächer, die er hören muß, hindrängt. Darum wird der Bericht der Studentenschaft vom 15. Dezember 1919 erklärlich, der an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gerichtet ist und die sofortige Besetzung der offenstehenden Lehrstühle verlangt.

Wer den Dozentenberuf erwählt, bringt von vornherein große Liebe nicht bloß zu seinem Fache, sondern auch zu dem mit, dem er seine Ideen übermittelt. Freilich ist es nicht jedem Professor von Natur aus gegeben, in dem Umgang mit Studenten die Form zu finden, die ihn als “beliebten” Dozenten vor andern heraushebt. Das ist Charaktersache. Wie dem auch sei, der Professor weiß, welch kostbaren Schatz ihm die Nation anvertraut hat, er weiß, daß er dem Studierenden nicht allein wertvolles Wissen übermitteln soll, sondern ihn auch befähigen selbständig in seinem Fach zu denken, um später eigene Bahnen mit Erfolg zu wandeln und ein tüchtiges Glied am deutschen Volkskörper zu werden.

Student und Bürger.

In Aachen war es für den Studenten nicht leicht, heimisch zu werden; es mußten Dezennien vergehen, bis der Aachener Bürger davon überzeugt war, daß die Hochschule ein wichtiges Glied im Aachener Stadtwesen und ein unentbehrliches Kulturferment ist. Während in andern Städten, wo Hochschulen begründet wurden, alle Schichten der Bevölkerung über eine derartige Erhöhung des städtischen Ansehens und Bereicherung des Lebens mit neuem ideellen Inhalt und Anregungen hocherfreut sind, kam dies in Aachen nur teilweise zum Ausdruck. Es war auffällig, daß bei der Inauguration der Hochschule in der Stadt recht spärlich geflaggt war, ein Umstand, der sich wiederum beim 25jährigen Jubiläum der Technischen Hochschule, am 14. Oktober 1895, bemerkbar machte, was die Redaktion des “Volksfreund” (1895, Nr. 246) neben anderm veranlaßte, von der Hochschule als von einem “Fremdkörper in der Stadt Aachen” zu sprechen.

Gewiß hat es viele Aachener Bürger gegeben, die die Studenten freundlich aufgenommen haben; aber dennoch war es für die ersten Studenten schwer, in Aachen

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Fuß zu fassen, wie dem Schreiber dieser Zeilen der erste Student, der in Aachen immatrikuliert wurde, der heute noch so rüstigeBrinkmann(G. Brinkmann & Cie., Witten a. d. Ruhr) erzählte. Die erste Studentenkneipe war gegenüber dem Elisenbrunnen das Restaurant Schell. Von da abends nach Hause zu gehen, war infolge der Belästigung durch den Aachener Pöbel manchmal nur unter polizeilicher Bedeckung möglich. Die Polytechniker brachten andere als bisher übliche Begriffe von Wissenschaft und Freiheit in Aachens Mauern. Sie waren darum als Atheisten und Revolutionäre verschrien und wurden als die “verdammten Polikatechniker” beschimpft. Die Kulturkampfbegebenheiten waren zudem nicht geeignet, das Verhältnis zwischen Student und Bürger sonderlich zu festigen. Die Differenz zwischen beiden entlud sich in der Hauptsache gegen die Couleurstudenten; sie waren ja im Auge des Bürgers am besten zu fassen. Die weitere Folge war die Spannung zwischen Couleurstudenten und den konfessionellen Vereinigungen. Dabei darf nicht verschwiegen werden, daß vieles, was von Aachener Radaubrüdern verübt worden war, auf Kosten der Studenten ging.

Weit verbreitet ist die Ansicht, daß die ersten Kreise Aachens sich dem Akademiker verschlossen gehabt hätten. Das ist nicht ganz richtig; im Gegenteil, viele von den alten Polytechnikern berichten von dem angenehmen Verkehr in den ersten Aachener Familien. Allerdings kam es damals kaum zu zarten Beziehungen zwischen den Studenten und den hübschen Töchtern der Stadt. Auch die “filia hospitalis” befleißigte sich mit ihren Freundinnen einer “würdigen Zurückhaltung”. Der ehrsame Bürger und Geschäftsmann, der Mittelstand, brachte von Anfang an dem Polytechniker das meiste Verständnis entgegen; durch die Hochschule flossen ihm eine Menge pekuniärer Vorteile zu. Mancher von diesen braven Bürgern hat eine Rolle bei der Studentenschaft gespielt, wie der viel genannte “Hospes“, ein angesehener Metzgermeister von der Jakobstraße. Wehe dem, der “seinen Studenten” gegenüber nur ein Wort der Beleidigung wagte, der hätte seine starke Faust fühlen können. In rührender Weise hat er wie seine “Hospita” für das leibliche und pekuniäre Wohl vieler Studenten gesorgt. Wie der “Hospes” haben sich noch viele andere Bürger in gleicher Weise um die Studentenschaft verdient gemacht. Die Chronik einzelner Korporationen und “Bierfamilien” wissen so manchen schönen Zug des Aachener Bürgertums zu erzählen.

Der Karneval hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, den Studenten dem Aachener Bürger näher zu bringen. Das karnevalistische Treiben spielt eine große Rolle im Leben des Aacheners. Es wäre falsch, den Karneval bloß als leeres Getriebe hinzustellen. Er hat seinen Komment, seinen bestimmten Witz. Das rheinische Volk ist wie gärender Wein, der im Vorfrühling sich regt. Wenn die Karnevalstage kommen, gärt es im Blut. Sie können nicht anders. Dem Karnevalsleben wußte sich der Aachener Student gut anzupassen. Da wurde das Kolleg “geschwänzt”, gerade wie in Kiel zur Kieler Woche. An der Ausrüstung und Ausschmückung der Karnevalszüge haben sich die Studenten rege beteiligt. Da haben selbst die ProfessorenEwerbeck,Frentzen,Henriciu. a. mitgewirkt originelle Karnevalswagen auszurüsten. Der originellste war wohl der von der akademischen Verbindung Delta 1883 gestellte Wagen, der eine große Violine darstellte.

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Die Stellung des Studenten zum Aachener Bürger hat sich im Laufe der letzten zwei Dezennien erfreulich geändert. Heute ist der Student ein integrierender Bestandteil des Aachener Lebens. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Menschen und deren Anschauungen. Viele Aachener selbst haben auf der Hochschule ihre Bildung empfangen. Heute sieht man den Student in jeder bessern Gesellschaft, und bei den Tanzvergnügen und Festen, die heute von den Studierenden gegeben werden, sieht man die Damen aus der besten Gesellschaft Aachens.

Als im Winter-Semester 1919/20 ernste Stimmen laut wurden, die Hochschule von Aachen wegen der dauernden Einquartierung in der Hochschule und des zu geringen Entgegenkommens der Stadt zu verlegen, rauschte ein Sturm der Entrüstung durch den Aachener Blätterwald, gewiß ein schönes Zeichen von dem Verwachsensein der Aachener Bürgerschaft mit der Hochschule. Die Stadt und an ihrer Spitze der OberbürgermeisterFarwick setzten alle Hebel in Bewegung, den Lockungen großer rechtsrheinischer Städte, die Hochschule in ihren Mauern willkommen zu heißen, entgegenzuarbeiten. Daß der Aachener Bürger Herz und Sinn für seine Studenten hat, beweisen am glänzendsten die pekuniären Beiträge, die große und kleinere Aachener Firmen und einzelne Bürger zur Einrichtung und Instandhaltung der “mensa academtca” und zur “Gesellschaft von Freunden der Aachener Hochschule” beigesteuert haben.

Das wenig freundliche Gesicht, das in früheren Zeiten der Aachener dem Studenten gegenüber zeigte, hatte vielleicht seinen Grund in manchem übermütigen Streich und Schabernack. Das nächtliche Singen, das Kratzen an den Fensterläden, die Katzenmusiken, das Laternenausdrehen, das Schilderverhängen, das “Mäuschenfangen” u. a. m. wird den ehr- und ruhsamen Bürger manchmal in Harnisch gebracht haben. Am Elisenbrunnen kamen die meisten Konflikte zwischen Studenten und Philistern vor, desgleichen mit den Nachtwächtern, den “Nachteulen”, die tagsüber andern Berufen (Anstreicher, Tapezierer, Schneider, Schuhmacher usw.) nachgingen. Mit großem Schwert umgürtet, mit der kollegenherbeizaubernden Notpfeile und der Tabakpfeife ausgerüstet, waltete der Nachtwächter in seinem Revier seines Amtes. Nur der “Gang zum Eisenhammer”, zur “Vigoline”, wie das alte Polizeipräsidium Pontstraße Nr. 13 hieß, führte den Getreuen aus dem Revier, um einen Delinquenten der rächenden Nemesis in die Hände zu führen. Die “Legitimationskarte” bewahrte den akademischen Bürger meistens wohl vor freiem Nachtlogis, aber “das Protokoll” folgte mit “tötlicher Sicherheit”. “Sie haben in der Nacht vom . . . . zum Morgen durch lautes Singen” oder, wie es oft in Verkennung der Tonschönheiten hieß, “Skandalieren ruhestörenden Lärm verübt. Die übertretung wird bewiesen durch den Nachtwächter X” usw. lautete die Einleitung, und nun folgte das Strafmaß in Talern, später in Mark, im “Unvermögensfalle 1 Tag Haft”. – Es kam auch vor, daß gelegentlich einmal ein Lied in schonender Weise unterdrückt wurde, wenn der arme geplagte Vertreter der heiligen Hermandad von der Bürde seines Amtes niedergezogen in einsamer Tornische in Morpheus Armen lag. Einmal ist der Schlaf so fest gewesen, daß eine Fahrt nach Jülich mit Aussetzen daselbst ihn nicht gestört hatte. Als noch die beiden mächtigen Bronzefiguren, der Wolf und die Artischocke, Symbole aus uralten Sagen, das Hauptportal des Doms Kaiser Karls

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des Großen flankierten, hatte aus einer Schar Polytechniker einer den Wolf erklettert, um eine Ansprache zu halten. Dem herbeieilenden “Nachtrat” gelang es nicht, ihn herunterzuholen. Selbst dem zufällig hinzukommenden PolizeipräsidentenHirsch wollte es zunächst nicht gelingen, bis er Reiter und Korona zu einem “Umtrunk” in der nahen “Kette” einlud. Mit einem donnernden Hoch folgte man der Einladung und überließ die Bezahlung des Bieres selbstredend dem Herrn Polizeiallerhöchsten. Ein ähnliches Mittel wandten Schutzleute an, als sie sich vergeblich bemühten, beim Karneval 1912 einen Rheno-Borussen vom Denkmal Kaiser Karls des Großen oder “Karls des Kleinen” (wegen der Größe der Figur) herunterzuholen, der in aller Gemütsruhe oben sitzen blieb und Ziehharmonika spielte, während ein anderer noch heute sehr bekannter Student, der “Doktor“, von der Rathaustreppe aus eine Rede an “sein Volk” hielt. “Karl der Kleine” hat manche dekorative Umgestaltung erfahren, sei es, daß man ihm einen Zylinderhut aufsetzte oder ein Hemd anzog. Das Kegelspiel mit Kappesköpfen war ein beliebter nächtlicher Zeitvertreib auf dem Markte, indem man die Kappesköpfe, die in Pyramiden aufgehäuft standen, einseitig lockerte und so die ganze Pyramide zum Fallen brachte, worauf die Köpfe lustig die Krämerstraße hinabkollerten. Als Studiosus M. ein Protokoll wegen seines Hundes ohne Maulkorb erhielt, züchtete er sich einen Hahn heran, band ihm einen Maulkorb vor und promenierte mit ihm am Elisenbrunnen auf und ab. Das wurde ihm ungnädig vermerkt, wie auch später einmal lustigen Korpsbrüdern, als sie das berühmte Fischmännchen von Prof.Lederer von seinem Postament entfernten und als “jüngsten Fuchs” auf der Kneipe präsentierten. – Damit sei das Kapitel der Studentenstreiche verlassen; daß sie auch dichterisch besungen wurden, bezeugt das launige Gedicht “‘ne Studentestrech” in dem “Herbarium van öcher Blomme”, Gedichte in Aachener Mundart von A.Branchart.

Mit verschiedenen ausländischen Studenten, Russen und Polen, hatte die Polizei viel Schwierigkeiten und Scherereien. Es waren meist politisch verdächtige Individuen, die das akademische Bürgerrecht erworben hatten, um in irgendeinem deutschen Nachbarstaat hochverräterische Agitation zu treiben. Wurde ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß, verschwanden sie bei Nacht und Nebel.

Im großen und ganzen muß man sagen, daß Studenten, Kaufleute und Polizei gut miteinander auskamen. Als man nach einem Kaiserkommers vom Kaiserhof in hellen Haufen unter Führung des Rektors H. zum Restaurant “Germania” gegenüber dem Elisenbrunnen zog, das Torgitter daselbst schon verschlossen fand, und der Rektor heftig Einlaß begehrte, wollte man ihn verhaften, doch die Studenten in Couleur legitimierten ihren Rektor und unter schallendem Gelächter trat man in den Bierpalast ein.

Daß bei den hohen Polizeigewaltigen Verständnis für manchen kecken Studentenulk vorhanden war, muß hier besonders anerkannt werden. ältere Studenten erinnern sich dankbar des PolizeipräsidentenHirsch (s. oben) und des ausgezeichneten Hauptmanns v.Velten. Auch die nachfolgenden Polizeipräsidenten stehen in guter Erinnerung bei den Studenten. Als in den Jahren vor dem Kriege die Polizeistunde trotz aller Vorstellungen von Wirten und Studentenschaft nicht über 2 Uhr hinaus verlängert wurde und der “Postwagen” am Rathaus unter der Obhut seines tüchtigen

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Wirtes Buchmeier nach mancher größern oder kleinern “Festivität” zu einem Orte stillen und besonnenen Abtrunkes wie geschaffen war, mußte schon Prof. E. den Studenten helfen, indem er ein Gesuch an den Polizeipräsidenten richtete, worin alle akademischen Gründe dargelegt wurden, dem Postwagen die Konzession des Bierausschanks bis früh 4 Uhr zu verleihen. Wir sind der festen Zuversicht, daß auch im 101. Semester der neue Polizeipräsident mit den Schwächen der Studenten nicht allzuscharf ins Gericht gehen wird. Möge man dem Studententum auch unter den veränderten Zeitverhältnissen seinen Frohsinn gönnen. Möge Polizei und Studentenschaft auch in Zukunft auf so gutem “gespannten” Fuß stehen wie in den verflossenen 50 Jahren.

Die studentischen Vereinigungen.

Das Vereins- und Verbindungsleben war von der Gründung der Hochschule an ein sehr reges. Die verschiedensten Schattierungen, von der freiesten Vereinigung bis zum strengsten korporativen Zusammenschluß, traten in Erscheinung. Landläufig ist es geworden, zwischen Fachvereinen und Korporationen zu unterscheiden. Unter den letztern spielen die konfessionellen und schlagenden Verbindungen die Hauptrolle. Die größten und angesehensten unter ihnen wurzeln in der Zeit, da man noch von der “rheinisch-westfälischen Polytechnischen Schule” sprach. Andere hinwiederum atmeten nur ein kurzfristiges Dasein; sie flammten mit Begeisterung auf, um nur zu bald in Nirwanas Reich einzugehen. Von der Betrachtung der Studentenvereinigungen, die sich mit dem Wohl und Wehe der gesamten Studentenschaft oder eines größern Teils derselben befassen, also den verschiedenen Studentenvertretungen, Studentenausschüssen usw., wird hier abgesehen, da sie die gebührende Berücksichtigung bereits oben gefunden haben.

An der Aachener “Polytechnischen Schule” hatten sich, wie bei den meisten Hochschulen, Vereinigungen gebildet, die, wie es allgemein in den betreffenden Statuten heißt, die “Förderung der Fachbildung” und die “Zusammengehörigkeit der Fachgenossen” bezwecken. Die Zusammenkünfte waren regelmäßig monatlich, halbmonatlich oder wöchentlich. Es wurden Vorträge gehalten, auch Exkursionen fleißig unternommen.

Von den Fachvereinen tritt als erster der “Verein der Chemiker und Hüttenleute” auf, 1872, ihm folgen 1873 der “Verein für Maschinentechniker” und 1874 der “Ingenieur-Verein“. Der letztere verfügte über eine bedeutende Mitgliederzahl, 1874 über 70; neben deutschen Studenten gehörten ihm viele Ausländer an, aus Holland, Frankreich, Rußland, besonders aus Norwegen und Schweden, Finnland, Luxemburg und Buenos Aires. Der Ingenieur-Verein war trotz seiner anfänglichen Blüte im Jahre 1881 auf drei Mitglieder zusammengeschrumpft.

Im zweiten und dritten Dezennium der Hochschulgeschichte, nachdem die Polytechnische Schule sich zu einer Technischen Hochschule in Form und Berechtigungen ausgewachsen hatte, setzen die studentischen Vereinigungen vor ihrem Namen oder Kennwort die Bezeichnung “akademisch”. Der “Verein der Maschinentechniker” wird zu einem “Akademischen Verein der Maschinentechniker“; 1899 wird er zur “Akademischen Verbindung Marcomannia” und setzt Couleur auf.

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Der “Verein der Chemiker und Hüttenleute” wächst sich 1893, nachdem er auf kurze Zeit suspendierte, zu einem “Akademischen Verein der Chemiker, Berg- und Hüttenleute” aus, der sich von 1905 ab “Montania” nennt.

Mit der Neugestaltung und Entwicklung der Hochschule setzte nach 1900 die Bildung neuer Fachvereine ein. 1903 wird die “Eisenhüttenmännische Vereinigung” begründet, die ein Jahr später ihren Namen in “Hüttenmännische Vereinigung” umändert. Angehörige der Abteilung III schließen sich 1905 zur “Vereinigung der Maschinenleute und Elektrotechniker” zusammen, die später “Vereinigung der Maschinen- und Elektroingenieure” heißt. Aus der Abteilung II wächst 1907 die “Vereinigung der Bauingenieure” heraus. Früher noch als die beiden genannten entwickelt sich 1904 in Abteilung V auf Anregung der Professoren die “Bergmännische Vereinigung“. Der “Akademische Architektenverein“, der aus Angehörigen der Abteilung I besteht und bereits 1873 als “Architektenverein” begründet wurde, demnach zu den ältesten Korporationen der Hochschule gehört, ist wohl ein Fachverein, doch unterscheidet er sich von den andern Fachvereinen durch sein festes korporatives Gefüge, das sich in Füchsen, Aktiven und Altherrenschaft ausspricht und bei den andern Fachvereinen als freien Vereinigungen verpönt ist. Unter deren Mitgliedern begegnen wir Korpsstudenten, Burschenschaftlern, Turnerschaftlern, Freistudenten, Mitgliedern aus katholischen Vereinigungen usw. Unbeteiligte kommen leicht auf den Gedanken, daß eine Fachvereinigung ihre Mitglieder zu reinen Brot- und Fachstudenten herabdrücke, sie bedenken nicht, daß durch die Vereinigung von Berufsgenossen dem Einzelnen das Gesamtbild seines Berufes umfassender und vielseitiger vor Augen geführt werden kann als beim Einzelstudium, vorausgesetzt, daß die Gelegenheit zu einem vernünftigen Gedankenaustausch in dieser Vereinigung gegeben ist.

Den Fachvereinigungen liegt es samt und sonders ob, ihren Mitgliedern das . Neueste ihres Gebietes in Wort und Schrift vorzuführen. Den Vorträgen und wissenschaftlichen Aussprachen wird ein breiter Platz eingeräumt. Zeitschriften werden gehalten und wichtige Fachliteratur angeschafft. Auf diese Weise sind ganz ansehnliche Handbibliotheken entstanden, so zählt beispielsweise die “Bergmännische Vereinigung” über 800 Bände und legt augenblicklich 14 Zeitschriften aus. Eine besondere “akademische Lesehalle”, die allen Studierenden zugänglich und im Bibliotheksgebäude der Hochschule untergebracht war, existierte von 1899 bis 1904. Als im November 1905 der “Ausschuß der vereinigten nichtkonfessionellen Korporationen und Wildenschaft” die frühere Lesehalle zur Verfügung haben will, kommen im Dezember desselben Jahres an Rektor und Senat die “konfessionellen Verbindungen” mit einem gleichen Anliegen. Die Bestrebungen zur Neugründung einer Lesehalle hatten sich bald wieder zerschlagen.

Obwohl die Ausländer den Fachvereinen angehören durften, und, wie wir wissen, am Anfang des Bestehens unserer Hochschule auch einzelnen freien Korporationen, haben sie sich trotzdem noch zu Sondervereinigungen zusammengeschlossen. Der “Ausländerverein am Polytechnikum zu Aachen” (1875-1885) bezweckte einen geselligen Zusammenschluß der an der Hochschule studierenden Ausländer. Die benachbarten Holländer und die deutschsprechenden Luxemburger waren die

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ersten, die Vereinigungen anstrebten. Die im Mai 1871 begründete Vereinigung “Dispuut Neerlandia” bestand nur einige Semester. Sie wurde 1885 durch den akademischen Verein “Hollandia” ersetzt. Der Verein war genötigt, von Winter-Semester 1915/16 bis Winter-Semester 1919/20 zu suspendieren, da fast alle Mitglieder, des Krieges wegen, in Holland zur Wahrung der Neutralität einberufen wurden. Beim 12 1/2 jährigen Stiftungsfest im Jahre 1897 wurde ein A.H.-Verband gegründet. Von 1886-1891 befanden sich fast alle an der Technischen Hochschule anwesenden Luxemburger in der “LandsgenossenschaftOrano – Luciliburgia “. Seit Oktober 1897 besteht der “Akademische Verein d’Letzeburger“. Da die Luxemburger keine Neutralität zu wahren hatten und militärisch nicht eingezogen werden konnten, waren für sie die Kriegsjahre eine Zeit mit ganz besondern Vorteilen; die Mitgliederzahl der Letzeburger wuchs bis auf 60, und leicht war es, nach bestandenem Examen Stellung zu finden.

Wiewohl Aachen den slavischen Landesteilen Deutschlands und Europas ziemlich entfernt liegt, gab es an der Hochschule auch slavische Vereine. Der älteste war der 1873 begründete “Verein der polnischen Jugend“,der nach den Statuten die nähere Bekanntschaft und gegenseitige Unterstützung und wissenschaftliche Ausbildung seiner Mitglieder bezweckte; politische Bestrebungen sollten ausgeschlossen sein. Nach einigen Semestern war der Verein eingegangen, und als 1886 das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten darauf aufmerksam machte, daß die polnischen Vereine in politischer Beziehung zu ernsten Besorgnissen Anlaß gaben und nicht geduldet werden sollten, konnte von flachen aus gemeldet werden, daß an der hiesigen Hochschule kein polnischer Verein bestünde. Der “akademische Polnische Leseverein“, der sich 1890 aufgetan hatte, wurde sechs Jahre später auf Grund eines ministeriellen Erlasses aufgehoben. Der “akademische Russische Lesezirkel” erfreute sich eines längeren Daseins, 1890-1899. Mit der Pflege der russischen Sprache beschäftigte sich der “akademische Verein Besséda“, 1885-1889. Als sich im Sommer 1891 ein “akademischer Slavischer Leseverein” konstituieren wollte, wurde er vom Rektor Herrmann nicht genehmigt, weil er auch Nichtakademiker als Mitglieder aufnehmen wollte.

Obwohl die Fachvereine die freiesten Vereinigungen an der Hochschule sind, nannte man die übrigen Vereine und Verbindungen “freie Vereine”, weil ihre Mitglieder sich aus den verschiedenen Abteilungen rekrutierten. Die überleitung von den Fachvereinen zu den freien Vereinen bildete der “akademische Verein Delta“, der, am 7. November 1871 begründet, seine Statuten am 6. Dezember 1871 genehmigt erhalten hatte; er bezweckte laut Satzungen die Vereinigung der Architekten und Ingenieure der Aachener Hochschule, die berechtigt und gewillt sind, die Staatsexamina abzulegen, sowie Förderung wissenschaftlicher und geselliger Bestrebungen. Im freundschaftlichsten Verkehr mit Delta stand die “Polytechniker Gesellschaft Demokrit“,begründet am 27. Februar 1872. Das Leben und Treiben dieser Studierenden kennzeichnet so recht ihr Wahlspruch:

Ernste Wissenschaft und fröhliches Leben der Kneipe
Weiß maßvoll zu einen der rechte Student.”

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Das Hauptmoment der Vereinigung war eben die Pflege edelster Freundschaft. Irgendwelche besondere Bestrebungen, wie wissenschaftliche, waren ihr fremd. Wohl aber waren es feinsinnige und witzige Köpfe, die vorzüglich einem heitern Lebensgenuß zu huldigen wußten. Nicht umsonst war der alte Philosoph Demokritus ihr Schutzpatron, der als höchstes Gut Seelenruhe bezeichnete, bedingt durch weisen Genuß und vernünftige Tätigkeit. 1881 legte sich der Demokrit schwere Waffen zu und die unbedingte Satisfaktion wurde angenommen. Die lebhaften Bestrebungen, sich als Korps aufzutun, scheiterten zuletzt, und 1888 löste sich der Demokrit auf. Eine Altherrenschaft besteht nur noch nominell. Demokrit, Delta, Architekten- und Maschinentechniker-Verein hatten sich seinerzeit zu einem “Quadrat” vereint; gemeinsame Zusammenkünfte und Vergnügen, besonders im runden Saale des Belvedere, war das Ergebnis des Zusammenschlusses, der immerhin ein Jahrzehnt gedauert hat. “

Verschiedene Vereinigungen hatten ein noch kürzeres Leben als der Demokrit, viele überdauerten kaum zwei oder drei Semester. Zur Förderung und Pflege des Schachspiels wurde 1874 ein “akademischer Schachverein” geschaffen. In den kommenden Semestern hört man nichts mehr von ihm; nur im Sommer-Semester 1904 begegnen wir nochmals einem “akademischen Schachklub Aachen“. Die “akademische Stenographen-Vereinigung” (Stolze-Schrey) lebte von 1902 bis 1904. Nur kurze Zeit bestanden ferner der “akademische Stammtisch der Elsaß – Lothringer“, später “akademischer Stammtisch Alsatia – Lotharingia” genannt,1906-1909, die “akademische Vereinigung Heimdall“, die gesunde Lebensführung und Auffassung pflegen und verbreiten wollte, 1909, die Vereinigung “wissenschaftlicher Zirkel zur Pflege der allgemeinen Wissenschaften” mit ihrem Schriftwart (dem späteren Hochschulprofessor) G. Hamel, 1895-1896. Im Winter-Semester 1883/84 wurde der “akademische staatswissenschaftliche Verein zu Aachen” begründet, dessen erster Vorsitzender Prof. Struck war. Der Verein hat nur kurze Zeit bestanden.

In den ersten Semestern der Hochschule gab es einen “Theaterverein“, der sich in einen “Gesangverein” umgestaltete und schließlich auflöste; die ganze Herrlichkeit hatte kein Lustrum überdauert. Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß gerade in Aachen, wo man sich in einer musikalisch hoch begabten Ecke des Deutschen Reiches befindet, ein akademischer Gesangverein nicht recht zur Blüte gelangen will. Verschiedene verheißungsvolle Ansätze lassen sich nachweisen, aber von langem Bestand war keine derartige Vereinigung. Der “Polytechniker-Gesangverein“, oder wie er bald genannt wurde, der “akademische Gesangverein” blühte nur drei Jahre, 1874-1877. Ein “akademischer Quartett-Verein“, scheint nur im Jahre 1876 bestanden zu haben. Wir hören wohl von der Gründung einer “Vereinigung zur Pflege des Chorgesanges” im Mai 1906, aber in Tätigkeit scheint sie nie getreten zu sein.

Die gesangskünstlerischen Bestrebungen sind auf der Hochschule immer von wenig Erfolg begleitet gewesen, dafür von um so größerem diejenigen auf dein Gebiete der körperlichen Ertüchtigung durch Turnen und Fechten. Der “Polytechniker – Turnverein” wurde bereits am 20. Oktober 1871 gegründet. In den Satzungen wird vor allem zum Ausdruck gebracht, daß das Turnen in der Aachener Poly-

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technikerschaft durch eigenes und vereinigtes Wirken verbreitet werden soll. 1879 wurde die Bezeichnung “Akademischer Turn-Verein” angenommen. Aus ihm hat sich die “Turnerschaft Rheno-Borussia” entwickelt. Die Ausbildung der Wehrhaftigkeit und die Förderung der Körpertüchtigkeit der Studierenden bezweckte gleichfalls seit 1876 der “Polytechniker-Fechtverein“, seit 1879 “Akademischer Fechtverein” benannt. Fechtunterricht gab seit 1876 der frühere Heidelberger Fechtlehrer Meyenberg, nachdem schon 1874 von der Studentenschaft um einen akademischen Fechtlehrer gebeten wurde, worauf der Direktor v. Kaven antwortete, daß die Anstellung eines Fecht- und Turnlehrers bei ihm auf Verständnis stieße, aber höhern Orts angesichts der Mittel, worüber die Anstalt zur Zeit zu verfügen habe, kaum Aussicht auf Erfolg haben werde. Der Fechtverein betrieb Fechten mit Schläger, Säbel, Stoßdegen, Florett, sowie Stockschlagen (kurz und lang) und Boxen. Letzteres war durch fremde Polytechniker importiert, die darin auch Unterricht gaben. Der “Akademische Fechtverein” nennt sich seit Januar 1887 “Akademischer Fechtverein Alania“, woraus sich die “Burschenschaft Alania” entwickelte. Die andere, am 15. April 1909 in die öffentlichkeit getretene Burschenschaft “Teutonia“, ist eine Verschmelzung der Burschenschaft “Rheno-Germania” und “Cheruscia“, deren Wurzeln in dem “akademisch-wissenschaftlichen Verein Techne” (1899-1904) liegen. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts tritt ein “akademischer Sportklub” auf den Plan (1896), sodann ein “akademischer Reitklub” zur Pflege und Förderung des Reitsports (1899), besonders gefördert durch Prof. Dannenberg. Beide Vereinigungen gehen in der am l. September 1900 gegründeten “Vereinigung zur Pflege der Leibesübungen” auf, deren Aufgabe und Wirken wir bereits kennen gelernt haben. Später erhielt sie den Namen “akademische Turn- und Spielvereinigung” (A.T.S.V.).Durch sie werden sportliche Sondervereine überflüssig, wie ein besonderer “akademischer Skiklub” und “akademischer Wandervogel“, die sich 1914 zu konstituieren gedachten.

Daß in einer Stadt wie Aachen die katholisch-konfessionellen Vereine und Verbindungen an der Hochschule stark vertreten sind, erscheint als etwas Selbstverständliches. Gehört doch der “Katholische Studentenverein Carolingia” zu den ältesten Korporationen der Technischen Hochschule, gegründet am 9. November 1871 (an diesem Tage werde das Statut vom Rektor nach einigen Abänderungen genehmigt) mit den drei Prinzipien: Religion, Wissenschaft und Freundschaft. Von der Carolingia zweigte sich 1904 der “Katholische Studentenverein Wiking” ab. Im Dezember 1899 hören wir von einer Niederlassung des “akademischen Bonifatius-Vereins“, der den Zweck hat, unter den katholischen Studierenden der Technischen Hochschule ein warmes Interesse für die Missionstätigkeit in der Diaspora zu erwecken. Vom 8. Mai 1912 ist ein Gesuch an Rektor und Senat datiert, das um die Genehmigung der Gründung eines “Unitas-Kränzchens Aachen” bittet. Das Kränzchen gliedert sich dem Verband der wissenschaftlichen katholischen Studentenvereine “Unitas” der Hochschulen Deutschlands an. 1912 wird statt “Unitas-Kränzchen” der Name “wissenschaftlicher katholischer Studentenverein Unitas” gebraucht. Der Verband der wissenschaftlichen katholischen Studentenvereine “Unitas” hat sich neben dem

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C.V. (Kartell-Verband der farbentragenden katholischen Korporationen) und dem K.V. (Kartell-Verband der nichtfarbentragenden katholischen Korporationen) rasch zur Geltung gebracht. Die Wissenschaftlichkeit ist es, die dem U.V. (Unitas-Verband) unter den katholischen Verbänden sein charakteristisches Gepräge und seine Daseinsberechtigung gibt. Die durch den Krieg unterbrochene Tätigkeit der Aachener Unitas ist wieder kräftig aufgenommen worden. Der jetzige Aufschwung läßt auf eine weitere, erfreuliche Entwicklung hoffen. Die Unitas umfaßte im Sommer-Semester 1920 rund 30 Mitglieder. Die Akten der Hochschule berichten vom 12. Juli 1914 von der Gründung einer “akademischen Vereinigung Aachen“, das ist ein Verein von Studierenden, die sich auf Grundlage überzeugter Vaterlandstreue und der ihren gemeinsamen katholischen Weltanschauung zur Pflege wissenschaftlicher Bestrebungen und freundschaftlichen Verkehrs zusammengetan haben. In den folgenden Semestern hören wir nichts mehr von dieser Vereinigung.

Die farbentragenden katholischen Studentenverbindungen stehen auf streng religiösem Boden und verwerfen bekanntlich Mensur und alle damit zusammenhängenden Erscheinungen. In die Aachener Studenten- wie Bürgerkreise hat sich die 1899 begründete “Katholische Studenten-Verbindung Franconia” gut eingeführt. Seit 1902 nennt sie sich “Katholisch deutsche Studenten-Verbindung Franconia“. Sie erfreute sich stets eines guten Zuspruchs vor. Mitgliedern; ja ihr Mitgliederbestand wuchs nach dem Kriege derart an, daß man sich zur bessern Pflege gegenseitiger Freundschaft und studentischer Erziehung entschloß, sich zu teilen. Am 5. Juni 1920 gründete sie ihre Tochterverbindung, die “Katholisch deutsche Studenten-Verbindung Kaiserpfalz” mit den Farben grün-silber-violett und mit dem Wahlspruch “Treu-deutsch”. Zu ihr gehören 48 Alte Herren und 32 Aktive.

Zwischen die farbentragenden katholischen Verbindungen und die schlagenden Korporationen der Hochschule schieben sich neuerdings zwei andere Verbindungen ein: Die “freie Burschenschaft Westmark” und die “Freiburschenschaft Vandalia“. über die Gründung der freien Burschenschaft Westmark wird mitgeteilt:“Mitte des Winter-Semesters 1919/20 tauchte unter mehreren Studenten der Technischen Hochschule zu Aachen der Gedanke auf, eine Verbindung zu gründen, die es sich zur ehrenvollen Aufgabe mache, geselligen Verkehr zu pflegen auf freundschaftlichster Grundlage unter Verwerfung des Zweikampfes und der Trinkunsitten. Nicht zuletzt auch war es ihr Bestreben, ihren Mitgliedern die sittliche Reinheit als eines ihrer schönsten Ziele vor Augen zu halten, die leider in unserm heutigen Vaterlande so tief gesunken sei. Als selbstverständlich setzte sie von ihren Mitgliedern voraus, daß die Hochhaltung des Deutschtums und deutscher Art und Arbeit ihrer aller höchstes Ziel ist. Also durchweg dieselben Grundsätze, wie sie die Burschenschaft von 1815 vertrat, und wie sie heute noch vertreten werden im Schwarzburgbunde”

Darum sind die Hauptsatzungen des Schwarzburgbundes auch als solche der Westmark angenommen worden. Der Mitgliederbestand wies im Sommer-Semester 14 Aktive und 4 Füchse auf. Die Farben sind blau-silber-grün. Mit den Farben schwarz-hellrot-gold auf weißem Grunde wurde Ende Februar 1920 die “Freiburschenschaft Vandalia” begründet. Sie verfolgt keinerlei politische oder religiöse Tendenzen. Liebe zum Vaterlande betrachtet sie als selbstverständliche Pflicht. Die

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sonstigen Richtlinien sind durch die alte burschenschaftliche Devise Ehre, Freiheit, Vaterland gegeben. Jegliche Bestimmungsmensur wird verworfen und bedingte Satisfaktion gegeben. Von 10 Gründern ist die Freiburschenschaft Vandalia auf annähernd 30 Mitglieder angewachsen.

In den ersten Monaten des Bestehens der Aachener Hochschule hatte man das Tragen von Fachcouleuren erwogen. Doch durch den energischen Protest von Korpsstudenten und Burschenschaftlern verschwanden im Winter-Semester 1870/71 die “Fakultäts-” oder “Fachcouleuren”. Nur Korpsstudenten, Landsmannschaftler und Burschenschaftler kamen in Aachen als farbentragende Studenten zunächst in Betracht. Die erste farbentragende Verbindung, die “Burschenschaft Neo-Germania” mit schwarz-silber-rotgoldnem Band und weißer Mütze wurde am 2. Februar 1871 unter dem Eindrucke der Kapitulation von Paris als “freie Burschenschaft” begründet. “Neu-Deutschland” war gewiß für damalige Zeit ein sinniger Name. Die Burschenschaft hat bis zum Herbst 1872 bestanden, wo sie sich zur “Landsmannschaft Normannia” umwandelte. über die Korps von damals urteilt v. Kaven in einem Schreiben vom 26. Februar 1877 an das Kgl. Oberbergamt in Clausthal: “Die meisten Mitglieder der Korps sind wohlhabend, doch geraten auch einzelne hinein, welche sich als gute Schläger, oder durch Renommieren, durch Redenhalten, überhaupt Eigenschaften, welche in diesen Verhältnissen beliebt sind, auszeichnen, die dann mit durchgefüttert werden oder Schulden machen. Der Einfluß der Korps auf die Polytechnikerschaft kann verschieden beurteilt werden. Es ist nicht zu leugnen, daß seit ihrem Bestehen sogenannte “Holzereien” unter den Polytechnikern weniger vorkommen und seit einigen Jahren last gar nicht mehr, soviel mir bekannt. Die Gesichter der Mitglieder der Korps beweisen, daß nicht selten Schlägerduelle stattfinden, neulich das erste Pistolen-Duell mit tödlichem Ausgange, durch einen halbverrückten polnischen Polytechniker seinem Gegner aufgezwungen.”

Der Mensurbetrieb war in Aachen zunächst flau. Die ersten Mensuren, fünf an der Zahl, stiegen am 28. Januar 1872 auf der Karlshöhe im Aachener Stadtwalde; das war für eine neu begründete Hochschule immerhin ein Ereignis. Die Mensuren unterschieden sich einigermaßen von den heutzutage üblichen, wie wir in der Geschichte der Landsmannschaft Normannia von E.J. Havenith lesen. “Das Schlagen ist der Art und Weise eines jeden überlassen”, so hieß es im Paukkomment. Ein Stehen, wie in einem Schraubstock gespannt, wurde nicht verlangt und auch nicht ausgeübt, der Paukant durfte nicht aufrücken und vor allen Dingen nicht zurückgehen bezw. kneifen, sonst war ihm eine ziemliche Bewegungsfreiheit gegeben. Sehr beliebt war, besonders Linksschlägern gegenüber, das Rotieren. Die Mensuren fanden stets mit abgetretenen Sekundanten, ohne Mütze bis zur Abfuhr statt. Säbelmensuren kamen ganz selten vor; sie verdrängten in den achtziger Jahren die Pistolenduelle, die hauptsächlich zwischen Deutschen und Ausländern vorkamen. Glücklicherweise nahmen die meisten Pistolenduelle einen unblutigen Verlauf, so daß sich auch heitere Erinnerungen an sie knüpfen.

Die Ausübung der Bestimmungsmensuren war -begreiflicherweise mit allerhand Schwierigkeiten verknüpft. Während in andern Hochschulstädten bestimmte Lokale dem Mensurbetrieb dienten, mußte in Aachen ständig gewechselt oder in der Nach-

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barschaft gefochten werden. Frühmorgens, eh’ die Hähne krähen, wanderten die Studiker in “tiefstem Philisterhabite oder irgendeinem “Räuberkostüm” zu sonst dem Tanz gewidmeten Lokalen oder einsamen Waldschneisen, Fax und Füchse mit der “Dessinkiste”, großer “Knochensäge”, um dann heimlich die Klingen zu kreuzen und Herz und Sinn zu stählen an des Lebens Wagemorgen, bei dem die einzige Sorge nur war, gut zu stehen. ältere bevorzugte Fechtlokale waren bei der Witwe Winnewieser im Vorort Forst und auf der Eich. Alte Couleurstudenten denken noch gern an diesen Ort und einer daselbst vor etwa 30 Jahren stattgehabten Mensur, als der hereinstürmende Hüter der aufgebotenen Schutzmannschaft im Namen des Gesetzes statt der Rapiere die “Rabbiner” zum Gaudium der Mensurkorona forderte. Wurde man abgefaßt, so wanderte man unter Umständen einige Monate zur Festung, ins “fidele Gefängnis”.

Nachdem die Burschenschaft Neo-Germania und die sich aus ihr umgewandelte Landsmannschaft Normannia, sowie die Landsmannschaft Teutonia und die Korps Rhenania und Guestfalia innerhalb des ersten Dezenniums des Bestehens der Hochschule suspendiert hatten, war die Studentenmütze vom Straßenbild Aachens verschwunden. Am längsten hatte Normannia die Mütze getragen, im Sommer-Semester 1880 stand sie als einzige farbentragende Verbindung in Aachen da. Nicht allein im Kulturkampf und in andern mißlichen Verhältnissen von damals Ware die Ursachen dieser Erscheinung zu suchen, sondern auch in dem Mangel an einer genügenden Anzahl Ater Herren der Verbindungen; es war eben darum nicht möglich, daß A. H.-Verbände als segensreich wirkende Regulatoren gegen überschäumenden gärenden Jugendeifer auftraten. Fast ein Jahrzehnt hat es gedauert, bis die Studentenverbindungen wieder mit Band und Mütze ans Tageslicht kamen. Die Burschenschaft Alania, damals “Freischlagende Verbindung Alania”, setzte zuerst wieder die Mütze auf der Kneipe auf, am 9. Januar 1887, die jedoch erst 1888 öffentlich getragen wurde. 1889 erscheint der “A.T.V. Rheno-Borussia”‘ beim 18. Stiftungsfest in voller Couleur am Portal der Hochschule. Die A.V. Delta folgte 1898. Als sich der “akademische Verband der Maschinentechniker” im Winter-Semester 1899/1900 “akademische Verbindung Marcomannia” nannte, wurde Couleur aufgesetzt. Nach längern Auseinandersetzungen mit ihrer Atherrenschaft erscheint 1902 die “akademische Verbindung Montania” in Mütze und Band. Ein Jahr später trägt der “akademisch-wissenschaftliche Verein Techne” Band und Mütze; und so geht es fort, bis Aachen jetzt zehn farbentragende Verbindungen hat; es sind die vier nichtschlagenden Verbindungen: Frankonia, Kaiserpfa1z, Westmark und Vandalia und die sechs schlagenden: Alania, Teutonia, Rheno-Borussia, Marco-Guestfalia, Delta und Montania. Die schlagenden Korporationen haben sich aus allgemeinen, nichtschlagenden Vereinigungen entwickelt. mit Ausnahme des Korps Marco-Guestfalia, das auf den gleichen Prinzipien beruht, wie sie bereits bei der Gründung des Korps Guestfalia am 7. Dezember 1871 festgelegt worden sind.

Das Couleurstudententum, das in der ersten Zeit mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, ist heute ein wichtiger Faktor im Studentenleben der Aachener Stadt geworden. Mehr wie jede andere Korporation hat gerade die farbentragende Ver-

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bindung Einfluß auf die Erziehung ihrer Mitglieder. Frisch, munter und natürlich, ernst und kerndeutsch muß der Student sein, und doppelt hat dies der Farbenstudent durch Band und Mütze zu beweisen. Erfreulich ist zu berichten, daß das Verhältnis der einzelnen Korporationen zueinander nach dem Kriege wesentlich besser geworden ist. Nachdem auf Drängen der Turnerschaft Rheno-Borussia die noch zwischen S.C. und der Burschenschaft bestehenden Meinungsverschiedenheiten aufgehoben wurden, gelang es, die schlagenden Korporationen zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen zum “Aachener Waffenring” (A.W.R.) am 20. Oktober 1919 zusammenzuschließen, dessen erster Vorsitz Rheno-Borussia innehatte. Ein weiterer Schritt zur Vereinheitlichung und Wahrung gemeinsamer Interessen war die am 25. Februar 1920 begründete “Vertretung der Aachener Korporationen” (V.d.A.K.), die die nichtschlagenden Korporationen mit umfaßt und deren segensreiche Wirkung wir bereits bei der Gründung der “Kaiserpfalz” hervorgehoben haben.

Von schlagenden Verbindungen sind jetzt an unserer Hochschule Burschenschaft, Turnerschaft, freischlagende Verbindung und Korps vertreten. Von den alten Verbindungen haben sich in Aachen die Landsmannschaften nicht gehalten. Die Ende 1871 gegründete “Landsmannschaft Teutonia” lebt heute als W. S. C.-Korps in München, und die “Landsmannschaft Normannia”, die, wie oben bemerkt, im Winter-Semester 1872/73 aus der Burschenschaft “.Neo-Germania” umgewandelt worden war, suspendierte 1880 in Aachen und führte bis 1902 in Gestalt eines A.H.-Verbandes ein Schattendasein. Im Winter-Semester 1902/03 rekonstituierte sie sich, jedoch in Darmstadt. Die andern schlagenden Verbindungen, die fast so alt wie die Hochschule sind, haben sich samt und sonders aus Vereinigungen entwickelt, die weder Mensuren schlugen noch Band und Mütze trugen. Lediglich das Korps Guestfalia, gegründet am 7. Dezember 1871, konnte trotz langer Suspensation seinen alten Prinzipien als Korps treu bleiben, nachdem es 1904 durch die A.V. Markomannia aufgefrischt wurde und seitdem als Korps Marko-Guestfalia weiterbesteht.

Mit einem kurzen überblick über die Geschichte der Aachener Korps sei unsere Betrachtung über den Aachener Student geschlossen.

Der Aachener S.C. (A.S.C.), als Zusammenschluß und Interessenvertretung der Korps des Weinheimer S.C. an der Technischen Hochschule zu Aachen, wurde am 3. Dezember 1872 gegründet. Beteiligt waren das 1855 gegründete Korps Rhenania, das am 3. Dezember 1872 von Zürich nach Aachen übersiedelte, und das seit 1871 bestehende Korps Guestfalia. Die ersten, in die Gründerzeit fallenden Lebensjahre des A. S. C. waren von Glück begünstigt und ließen für die Zukunft jede Hoffnung berechtigt erscheinen. Starke Aktivbestände und glänzende gesellschaftliche Stellung bei Aachens Bürgerschaft sind die hervorspringenden Zeichen jener bis 1875 dauernden Blütezeit.

Mit Beginn des Jahres 1875 beginnt der Zustrom an jungem Nachwuchs bedenklich nachzulassen, und Kartell- und Freundschaftskorps müssen einspringen, um durch überlassung von Korpsburschen die Position des W.S.C. in Aachen zu halten. 1876 paukt sich die seit 1871 an der Aachener Hochschule bestehende

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Landsmannschaft Teutonia in den S.C. herein, ohne daß der nunmehr bestehende dreigliedrige S.C. jedoch in der Lage gewesen wäre, die immer dräuender werdende Gefahr einer Suspension abzuwenden. Im Winter-Semester 1878 suspendiert Guestfalia, und Rhenania wandert wenige Zeit später nach Braunschweig; 1879 suspendierte auch Teutonia, die in den achtziger Jahren dann nach München übersiedelte.

Erst im Jahre 1902 schienen die Vorbedingungen gegeben, den alten A.S.C. neu erstehen zu lassen, als die A.V. Delta sich zum Korps herauspaukte, und auch die alten, noch lebenden Westphalen zur Rekonstitution der alten Guestphalia ihre Einwilligung gaben. Als 1903 das Korps Borussia von Clausthal nach Aachen übersiedelte, rekonstituierte sich der A.S.C. mit Guestphalia, Borussia und Delta.

Eine neue Blütezeit mit ansehnlichem Aktivbestand begann. 1904 gereinigte sich die Guestphalia mit der freischlagenden A.V. Markomannia zur Marko-Guestpha1ia. Am 2,7. Februar 1907 wird dem Rektor mitgeteilt, daß das Korps Borussia für immer an der hiesigen Hochschule suspendiert hat. In den folgenden Jahren entwickelte sich der A. S. C. nicht ohne schwere Kämpfe einer erfreulichen Zukunft entgegen, bis ihn der Ausbruch des Krieges zur Suspension zwang. Erst das Jahr 1919 ermöglichte die Wiederherstellung des A.S.C., nachdem sich am 6. Januar 1919 das Korps Marko-Guestphalia und am 10. Oktober 1919 das Korps Delta wieder aufgetan hatten.

Anbei sei bemerkt, daß laut Hochschulakten sich am 15. November 1896 eine “Vereinigung von Inaktiven des Hohen Kösener Senioren-Konvent-Verbandes” angemeldet hatte; über sein weiteres Bestehen liegen keine Nachrichten vor.

Nachdem nun auf Grund der mannigfachsten überlieferungen versucht worden ist, ein entwicklungsgeschichtliches Bild des Aachener Studenten zu zeichnen, lassen wir im folgenden die Korporationen selbst sprechen, die eine längere als zehnjährige Entwicklung an der Aachener Hochschule haben. Auf Grund dieser historisch bedingten Einschränkung kommen zehn Korporationen zu Worte.

Geschichte der zehn ältesten Korporationen der Aachener Studentenschaft.

Burschenschaft Alania.

In der Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ruhte das Farbenstudententum auf der Aachener Hochschule vollkommen. Von den früher vorhandenen farbentragenden Verbindungen war nichts mehr übrig geblieben. In der Studentenschaft hatten die wissenschaftlichen Fachvereine entschieden das übergewicht. Nicht nur das Korporationsleben, sondern die ganze Hochschule war auf einem Tiefstand angelangt, wie er glücklicherweise in spätern Jahren nie mehr, auch nicht annähernd in die Erscheinung getreten ist. Dieser Tiefstand drückte sich sowohl in der außerordentlichen geringen Besucherzahl aus, von der nebenbei bemerkt noch nicht die Hälfte zu den Vollstudierenden gehörte, wie in dem Charakter des Studentenlebens. Eine ganze Reihe von Vorlesungen mußten wegen Mangels an Hörern ausfallen, und die Versuchung der Professoren, nach andern Hochschulen abzuwandern, war so

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groß, daß der Ausschlag einer solchen Berufung von der Studentenschaft durch einen Fackelzug geehrt wurde. Keine einzige der vorhandenen Korporationen hatte eigene Waffen oder nahm eine feste Stellung zur Satisfaktionsfrage ein. “Der Schläger war des Rostes Raub, es sank der Flaus in Trümmer!” Mit andern Hochschulen bestanden nur ganz oberflächliche lose Beziehungen, und ein Studentenleben, wie es anderorts bereits in Blüte stand, war in keiner Weise vorhanden. In mancher Beziehung war diese bedauerliche Erscheinung zurückzuführen auf die verhältnismäßig große Zahl der ausländischen Studenten, die dem akademischen Leben und dem öffentlichen Auftreten der Studentenschaft ein unerfreuliches, undeutsches Gepräge aufdrückten. Bei der geringen Zahl der Studenten waren alle miteinander persönlich bekannt. Um so mehr mußte der feindliche Standpunkt auffallen, den die ganze übrige Studentenschaft dem katholischen Studentenverein Carolingia gegenüber einnahm. Es war dies eine Folge des auf die Hochschule übergeschlagenen, gerade damals ausklingenden Kulturkampfes. Allmählich gegen Ende der achtziger Jahre nahm die Zahl der Studenten zu. Es kamen auch solche nach Aachen, die neben dem Wissensdrang ihre Jugendzeit als frische, fröhliche Studenten genießen wollten, unter ihnen selbst ältere von andern Hochschulen und Universitäten herübergekommene Semester, die es sich angelegen sein ließen, in dem Aachener Korporationsleben, bei dem jede studentische überlieferung infolge des langen Tiefstandes verloren gegangen war, reformatorisch zu wirken. Leider war der Einfluß dieser ältern Semester keineswegs immer ein günstiger, aber er wirkte immerhin belebend. Das Farbenstudententum fing deshalb Ende der achtziger Jahre an, sich wieder schüchtern bemerkbar zu machen. Als erster setzte der Akademische Fechtverein Farben auf. Dieser Fechtverein, der am 1. Mai 1876 gegründet worden war, konnte nicht als eine Körperschaft im engern Sinne angesprochen werden, sondern er war vielmehr eine Vereinigung studentisch-sportlichen Charakters, deren Zweck nach § 1 der Satzung in “Ausbildung der Körpertüchtigkeit und Wehrhaftigkeit der Aachener Polytechnikerschaft” bestand. Der Fechtverein gestattete seinen Mitgliedern, zugleich in andern Verbindungen aktiv zu sein. Am 20. Januar 1886 nahm der ,Akademische Fechtvereins den Namen , “Akademischer Fechtverein Alania” an mit den alten Farben schwarz-rot-gold und bekannte sich zu dem Grundsatz der unbedingten Genugtuung. Im gleichen Jahre noch wurden die Farben in blau-rot-gold umgeändert, und zu Anfang des Jahres 1887 nahm dann der Verein den Namen “Freischlagende Verbindung Alania” an. Die Farben, und zwar blau-rot-goldenes Band und blaue Mütze, die vorher schon auf der Kneipe aufgesetzt worden waren, wurden dann vom 9. Januar 1887 ab öffentlich getragen mit der änderung, daß an Stelle der blauen Mütze der gleichfarbige Stürmer trat. Das erste öffentliche Auftreten der Farbenstudenten fand im Publikum so wenig Verständnis, daß die den Stürmer tragenden Alanen von den Kindern als Ordensleute angesehen und wie solche mit einem wenig Gegenliebe findenden Händedruck beehrt wurden, während die herangewachsene Jugend etwas mehr Verständnis zeigte und ihnen das klangvolle Wort “Polykatechniker” nachrief. Nachdem etwas später auch der Turnverein als “Akademischer Turnverein Rheno-Borussia” Farben aufgesetzt hatte und sich ebenfalls zum Grundsatz der unbedingten Genugtuung bekannte, wurde der Schläger wieder hervorgeholt, und es entwickelte sich zwischen den beiden einzigen farbentragenden Verbindungen ein reger Paukverkehr. Am 6. Februar 1889 nahm der Fechtverein die Bezeichnung “Akademische Verbindung Alania” an mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, die Umwandlung zur Burschenschaft bei günstigern Zeitverhältnissen vorzunehmen. In der Studentenschaft bereiteten sich nun zu Anfang der neunziger Jahre andere Gruppierungen vor, die namentlich dadurch beeinflußt wurden, daß die einzelnen Verbindungen mit gleichartigen bezw. gleichgesinnten Korporationen anderer Hochschulen engere Fühlung aufnahmen. Der vertraute Allgemeinverkehr sämtlicher Verbindungen und Vereine untereinander, der dadurch treffend gekennzeichnet werden kann, daß Nichteinladung zum Stiftungsfest als Beleidigung empfunden wurde, lockerte sich, während sich einzelne Korporationen enger aneinander anschlossen. Mit dem Aufblühen der Hochschule und dem studentischen Leben an sich milderte sich auch der schroffe Gegensatz namentlich der Waffenstudenten zu dem katholischen Studentenverein. Ebenso gestaltete sich das Verhältnis zur Bürgerschaft freundlicher, so daß die Studentenschaft bald mit einiger Berechtigung

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singen konnte: “Die Philister sind uns gewogen meist, sie ahnen im Burschen, gras Freiheit heißt!” Die beiden farbentragenden Korporationen schlossen sich besonders eng aneinander an. Viele Alanen und Rheno-Borussen standen miteinander auf dem Duzfuß. Bei Wiertz in der Jakobstraße, wo man für 10 Pfg. ein gutes Glas Bier und für denselben Preis ein dickes Butterbrot mit einem tüchtigen Stück Limburger erhielt, trafen sich die Angehörigen beider Korporationen nach der Mensur, nach Fackelzügen und auch ohne besondere Veranlassung zu feucht-fröhlicher Exkneipe. Am 28. April 1891 wandte sich die akademische Verbindung Alania an die N.D.C. (Niederwald-Deputierten-Convent) Burschenschaft “Germania” in Braunschweig mit der Bitte um Anerkennungsmensuren behufs Herauspaukens zur Burschenschaft. Diese wurden am 7. Juli 1891 zu Braunschweig ausgefochten, worauf sich die Verbindung an der Aachener Hochschule als “Burschenschaft Alania” auftat. Ihren alten Wahlspruch “furchtlos und treu” behielt sie bei, und in ihrer Satzung legte sie das Gelöbnis nieder, daß sie in der Westmark des Deutschen Reiches deutschvölkische Gesinnung pflegen und im Verein mit allen echt deutsch gesinnten Männern den Kampf aufnehmen wolle gegen die innern und äußern Feinde des Reiches. In der ersten Zeit ihres Bestehens als Burschenschaft machte die Alania dann die Umwandlung des N.D.C. in den B.D.C. (Binger Deputierten-Convent) mit und später (1900) beteiligte sie sich an der Gründung des R. D. C. (Rüdesheimer Deputierten-Convent). Bis in die Mitte der neunziger Jahre hinein waren die studentischen Verhältnisse an der Aachener Hochschule dann die denkbar erfreulichsten, was schon in der Tatsache seine Bestätigung findet, daß nicht nur alle größern offiziellen Festlichkeiten die gesamten Korporationen einschließlich der Wildenschaft vereinten, sondern daß auch inoffiziell die gesamte Studentenschaft sich zu Waldfesten usw. in friedlichster Weise zusammenfand. Die junge Burschenschaft verlebte ihre ersten Jahre in einem zweifelsohne sehr angenehmen Zeitabschnitt des Werdegangs des Aachener Studententums. Das innere Leben in der Burschenschaft war dabei wie auch in den andern Korporationen ein einfaches und ungeschminktes. Auf den Kneipen wurde die lange Pfeife geraucht, und das Bierschleppen sowie alle Angelegenheiten, die heute dem Faxen obliegen, wurden von den Füchsen verrichtet, wobei man allerdings hin und wieder den Packträger Pickartz zu Hilfe nahm, der bei allen Korporationen als Mädchen für alles diente. Nur gelegentlich der Stiftungsfeste leistete man sich durch Wagenfahrten im Vierspänner und dergl. ein über das gewöhnliche Maß hinausgehendes Auftreten nach außen. Bei der geringen Zahl der Studenten konnte es nicht ausbleiben, daß diese auch zu den Professoren in ein innigeres Verhältnis traten, als es auf besuchtern Hochschulen der Fall zu sein pflegt. Auf den Kommersen, die von der Professorenschaft regelmäßig und zahlreich besucht wurden, trat dieses herzliche Verhältnis besonders zutage, und in der Regel erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt, wenn der allbeliebte Professor Herrmann seine ergötzlichen Bierreden zum Besten gab. Im weitern Verlauf der Jahre trat dann das Aachener Korporationsleben aus seiner idyllischen, friedlichen Abgeschlossenheit immer mehr heraus. Die Beziehungen zu andern Hochschulen wurden reger und vielseitiger, und die Zahl der Korporationen, namentlich auch der farbentragenden, vermehrte sich in beträchtlicher Weise. Diese an sich erfreuliche Entwicklung brachte es mit sich, daß in das Farbenstudententum die auf andern Hochschulen bereits bestehenden Gegensätze hineingetragen wurden. Die voneinander abweichenden Ansichten in Ehrensachen und Fragen des öffentlichen Auftretens, die individuell das eine Mal von dieser, das andere Mal von jener Korporation mit besonderer Schärfe vertreten wurden, führten zu Reibungen, Entfremdung und schließlich auch zu Verrufserklärungen, die einem geschlossenen Auftreten der Aachener Studentenschaft, das bei manchen Anlässen notwendig gewesen wäre, einen Hemmschuh anlegten. Auch die guten Beziehungen zwischen Alania und Rheno-Borussia erfuhren durch solche Vorkommnisse eine jahrelange bedauerliche Trübung. Bei Kriegsbeginn mußte die Burschenschaft Alania vertagen, da sich die ganze Aktivitas dem Vaterlande zur Verfügung stellte. Von den Alanen, die ins Feld hinauszogen, mußten 18 ihr blühendes Leben dem Vaterlande opfern: M. Beckhaus, H. Best, O. Cöver, O. Eichler, F. Gillet, H. Hartel, R. Kaufmann, K. Kintzinger, F. Kohler, E. Ludwig, W. Montigel, R. Moos, G. Neerfeld, J. Prümm, F. Rutkowsky.

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Rüßmann, G. Scho1z und Th. Thie1er. Nach dem Kriege standen dem Wiederauftun der Burschenschaft Alania erhebliche Schwierigkeiten entgegen, da von den frühern Aktiven ein Bursch und ein Kriegsfuchs nach Aachen zurückkehrten und zudem fast das ganze Mobiliar der Burschenschaft während des Krieges gestohlen worden war. Trotzdem unternahmen die beiden Alanen mit Unterstützung der Alten Herren das Wagnis und taten die Burschenschaft im Sommersemester 1919 wieder auf. Der Erfolg war ihnen beschieden; zur Zeit zählt die aktive Burschenschaft 20 Mitglieder und gehört nunmehr dem burschenschaftlichen Gesamtverband “Die deutsche Burschenschaft” seit dessen Gründung am 4. Januar 1919 an.

Akademischer Architektenverein.

Auch in der Geschichte unseres A.A.V. ist ein Stück Aachener Hochschullebens verkörpert, und deshalb mögen einige Blätter im Buche der Erinnerungen unserer feiernden Alma Mater von dem erzählen, was unsere Art ist, was wir erstrebt und erreicht.

Freiheit im Leben und Lernen ist das Kennzeichen deutschen Studententums. Um freier, selbstgewählter Arbeit zu leben und im freien Burschentum Charakter und Eigenart zu formen, gründeten in den Kindertagen unserer Alma Mater im Jahre 1873 die Alten unserer heutigen Altherrenschaft den Verein. Schon in den ersten Jahren entstand damals ein Werk, dem in der Geschichte des Vereins ein Ehrenplatz gebührt. Mehr als heute galt es, sich den Studienstoff durch eigene Arbeit und genaue Aufnahmen alter Baudenkmäler zu beschaffen. Zugleich wandten sich damals unter dem Eindruck des nationalen Aufschwunges die jungen Baukünstler wieder der Erforschung der deutschen Baudenkmäler des Mittelalters und vornehmlich der Renaissance zu, in denen man einen stärkeren Ausdruck nationaler Eigenart zu sehen glaubte, als in der bis dahin geübten Kunstweise. Es entstanden die zahlreichen Bände der “Autographien des A.A.V.”, die ein getreues Abbild jener auf formalgeschichtliche Auffassung der Baukunst gerichteten Zeitströmung waren, die manch alten Schatz gehoben und bewahrt haben und Auge und Hand der jungen Studierenden durch die Aufnahme der Bauwerke und durch gewissenhafte übertragung für die technische Wiedergabe gründlich schulten. Zwar dünken uns diese anspruchslosen Arbeiten überholt, aber ihrer mit Stolz zu gedenken, ist Pflicht der dankbaren Nachfahren. – Mit der ständig sich mehrenden Sammlung der Autographien wuchs auch allmählich eine Vereinsbibliothek heran, Vorträge und Wettbewerbe boten den Mitgliedern übung und Anregung. Vor allem aber brachte die gegenseitige opferfreudige Hilfe bei der Arbeit dem Einzelnen wertvollen Gewinn, machte den immer schwierigen Anfang leichter und schuf zugleich innerliche kameradschaftliche Beziehungen, die hinüberleiteten zu der anderen ebenso wichtigen Aufgabe – der Pflege studentischer Freundschaft unter den Mitgliedern. Denn diese studentische Freundschaft in altüberlieferten, aber doch eigenen Formen zu pflegen, war das zweite Ziel des Vereins. Die gemeinsame Hochschularbeit war auch eine Erziehung fürs Leben; sie schuf die Achtung vor der Leistung des anderen und zugleich sorgte der fröhliche, aber im Bedarfsfalle unerbittlich einsetzende Spott dafür, daß auch die Begabteren um die Klippe der überheblichkeit glücklich herumgeleitet wurden.

Ein nobile officium erschien es uns immer, den Zusammenkünften und Festen einen Schuß künstlerischer Art zu geben. Schon von den ersten Fuchsentagen an wurde in den Vereinsbrüdern die schlummernden mimischen Talente geweckt. Sie feierten auf größeren Festen, insbesondere bei den Weihnachtsfeiern, manchen Triumph grotesker Darstellungs- und Dichtkunst, und das starre Schema des altehrwürdigen Komments auf der Kneipe erhielt blühendes Leben und lustige Form. Die Befreiung vom Schema war auch der Leitgedanke für die Erziehung des Einzelmenschen; es schien uns erstrebenswerter, Originale zu erziehen als korrekte Typen. – Nicht nur über die Welt und die anderen, sondern auch über uns selbst wollten wir lachen lernen; wir hielten es mit dem Goethe’schen Wort: “Ich lobe mir den heitern Mann am meisten unter allen meinen Gästen, wer sich nicht selbst zum besten haben kann, der ist gewiß nicht einer von den bestens” – Es war für den Verein nicht immer leicht, sich im Laufe der Jahrzehnte mit seinen Grundsätzen zu behaupten, aber die Entwicklung blieb

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dennoch stetig und gesund. Wie anderswo verstrichen die Semester: Fuchsenfang, Stiftungsfest, Weihnachts- und Abschiedsfeiern boten den Rahmen, in dem sich das ewig wechselnde Bild des Werdens, Vergehens und sich Erneuerns in immer frischen Farben stets aufs neue darbot. – Eine eigene starke Quelle der Anregung und der Kameradschaft schuf sich der Verein in den wöchentlichen Ausflügen in die Aachener Umgebung, wo eifrig die alten bescheidenen Baudenkmäler bürgerlicher Baukunst mit mehr oder minder Geschick unter anfangs oft verzweifeltem Ringen mit den harten Gesetzen der Perspektive gezeichnet wurden. In einer Zeit der Irrwege für die Baukunst – wir denken an die Jahre vor der Jahrhundertwende – ist in vielen von uns damals an jenen schlichten, charaktervollen und gesunden Formen die vorahnende Erkenntnis einer natürlichen und doch gesetzmäßigen Baukunst aufgedämmert, eine Erkenntnis, die oft erst nach langen Jahren des Tastens sich tätige Bahn brechen konnte.

In frohem Gedenken an jene Tage steht lebendig vor unseren Augen die Gestalt unseres lieben und verehrten Altmeisters Henrici. Unvergeßlich sind die Stunden, in denen er uns die alte und die echte Kunst lieben und ihre Widersacher ebenso herzlich hassen lehrte, unvergeßlich sein heiliger Zorn, mit dem er der falschen Göttin der “Reißbrettkunst” ihre tönernen oder vielmehr papiernen Beine zerschlug, aber ebenso unvergeßlich die vielen Stunden ausgelassener Burschenherrlichkeit auf der Vereinskneipe und die fröhlichen Umtrünke und Umzüge in jenem alten, von Spitzweg’scher Romantik erfüllten Städtchen, deren traute Reize er uns erschloß. Einen unerschöpflichen Schatz von Erinnerungen bieten uns jene Tage mit ihrer sorglosen Jugendlust, die manchen guten Studentenstreich erfand; es sei nur der Name Halberstadt genannt, um in den Teilnehmern an jener Fahrt die Erinnerung an die wohlgelungene köstliche Mystifikation dortiger Philister wieder wachzurufen. Dankbares Gedenken eint uns heute um unseren Meister, der für uns alle der getreue Eckehard des Vereins war.

Scherz und Ernst wechseln in buntem Spiel, wenn die Erinnerungen unter der Decke der Vergangenheit lebendig werden. Die schöne, alte Stadt Aachen hielt uns fest und liebreich in ihren Banden, und ihre Eindrücke waren für die Lehrjahre wohl die richtigen. Auch der Aachener Philister mit seinem köstlichen Mutterwitz und seiner fröhlichen Lebensbejahung zog uns an; wir legten Wert darauf, Vertreter seiner Art unsere Gäste zu nennen und ihnen die Gastfreundschaft, die ihre Stadt den Studenten erwies, zu vergelten! Auch manche Familienbeziehung ward angeknüpft, und durch geselligen Verkehr auch die Brücke zu den Herzen der Aachenerinnen geschlagen. – Eine besondere Freude war es für die Vereinsmitglieder, auch auf den Hochschulfesten mitfeiern und mitwirken zu können.

Auf der Hochschule selbst war uns der verhältnismäßig bescheidene Umfang der Architektur-Abteilung nur ein Segen. Das Verhältnis zu unsern Lehrern war persönlicher als anderswo, das gesprochene Wort und die unmittelbare Einwirkung des Lehrers hatten stärkere Kraft. Es gab keinen Massenandrang in Vorträgen und übungen: in behaglicher Ruhe konnte die Frucht des Examens reifen, und so blieben die meisten von uns der Alma Mater Aachen die langen Semester treu, bis die Abschiedsstunde schlug. Wir bereuen es nicht: ob wir in Amt und Würden wirken oder im Kampf der freien Geister stehen, freudig, dankbar und ohne Rückhalt denken wir heute an unsere goldne Studentenzeit mit ihrem Ernst und ihren Freuden und nicht zuletzt mit ihren köstlichen Dummheiten.

Wir können nunmehr zum Schlusse nicht unsere ganze wohlgeratene Altherrenschaft in Rang, Amt und Würden, mit Meinungen und Taten hier nennen, aber über eine Gruppe besonders gut geratener und der Alma Mater besonders nahestehender Söhne wird diese sich doppelt freuen, nämlich über die, die berufen wurden, an deutschen Hochschulen wiederum Baukunst zu lehren. Wir nennen unsere Vereinsbrüder: Frentzen, Geheimer Baurat, Aachen. (E. M.); Jansen, Professor in Berlin; die Hochschulprofessoren Pützer, Wa1be, Wickop? und Vetter1ein. Außerdem haben sich große Verdienste um die Baukunst und das Siedelungswesen erworben: Knackfuß in Athen und Hecker in Düsseldorf.

Gedenken wollen wir an dieser Stelle auch unserer lieben A.H.A.H., die im Kriege 1914/18 ihr Blut fürs Vaterland vergossen: Doergé, Koch, Dender, Maus, Haake und Borchers.

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Von der Aktivitas blieben auf der Walstatt: M. Broecker, Fr. Mü1lenbach, J. Giorlani, E. Fischer, L. Schrader, G. Baum und W. Müller.

Vor dem Feinde erwarben sich von der Aktivitas vier das E.K.I und zehn das E.K.II. Gleich nach der Heimkehr der Truppen aus dem Feldzug fanden sich fünf alte aktive Burschen in Aachen wieder ein und eröffneten in aller Stille die im Kriege suspendierte Korporation. Sofort setzte nach gutem alten Brauche eine energische Keiltätigkeit ein, so daß die Aktivitas heute am Schluß des Semesters 17 aktive ordentliche Mitglieder zählt.

Der sehnliche Wunsch nach einem eigenen Architekten-Heim, der kurz vor Ausbruch des Krieges seiner Erfüllung entgegensah, konnte sich bis jetzt noch nicht verwirklichen. Damit wollen wir das Buch der Erinnerungen zuklappen. Unserer lieben feiernden Alma Mater aber rufen wir zu: “Bleibe kommenden Geschlechtern das, was Du auch uns warst, ein nutrimentum spiritus!”

M. Hane.

Katholischer Studentenverein Carolingia.

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Der “Katholische Studentenverein Carolingia” gehört mit zu den ältesten Korporationen der hiesigen Technischen Hochschule, und insofern umfaßt sein Lebensbild zugleich einen Teil der Geschichte der Hochschule selbst. Er wurde als “Akademischer Studentenverein Carolingia” gegründet, wobei auf den Rat des damaligen Direktors der Rheinisch-Westfälischen Polytechnischen Schule in der Benennung das Beiwort “katholisch” fortgelassen wurde. Nachdem die noch mangelhaften Statuten die Genehmigung des Direktors am 9. November 1871 erhalten hatten, konnte am folgenden Tage die erste Versammlung des Vereins, der 16 Mitglieder zählte, sowie die erste Vorstandswahl stattfinden. Von den Gründern, die dem Verein treu geblieben sind, leben nur noch fünf, davon zwei in Amerika und einer in Frankreich).

Bald nach seiner Gründung bewarb sich der Verein um Aufnahme in den Verband der kath. Studentenvereine Deutschlands, der 1863 ins Leben getreten war. Carolingia wurde als zehnter Verein auf der Generalversammlung in Bonn Juli 1872 in den Verband aufgenommen. Erleichtert wurde die Aufnahme, als Carolingia ihre Statuten gegen die des 1869 an der Technischen Hochschule in Karlsruhe eingegangenen Vereins “Lätitia”, der Mitglied des Verbandes gewesen war, vertauschte und von den Alten Herren der Lätitia als deren Nachfolgerin erklärt worden war.

Das erste Prinzip, die Religion, die mit Wissenschaft und Freundschaft auf Carolingias Banner steht, hat dem Verein, namentlich in den beiden ersten Jahrzehnten seines Bestehens, eine Reihe Mißhelligkeiten gebracht und schwere Kämpfe auferlegt. Schon der erste Anschlag am Schwarzen Brett rief in der Studentenschaft Entrüstung hervor und bewirkte, daß die beiden Mitglieder Carolingias aus dem Polytechniker-Ausschuß ausgestoßen wurden, weil sie “Mitglieder eines Vereines seien, der der Richtung der Majorität der Polytechnikerschaft entgegengesetzt sei”. Eine Annäherung zu den andern Korporationen fand Ende der siebziger Jahre statt.

Daß Carolingia gegen ungerechtfertigte Angriffe nach Umwandlung des Direktoriums der Hochschule in Rektor und Senat Schutz fand, beweisen verschiedene Vorkommnisse. Nachdem bei einem studentischen Frühschoppen, der “ein gutes Einvernehmen unter der Studentenschaft fördern” sollte, Carolingia schwer beleidigt worden war, ohne daß das Präsidium dagegen einschritt, eröffnete der Senat das Disziplinarverfahren, erteilte der Studentenschaft

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am Schwarzen Brett eine scharfe Rüge, bestrafte das Präsidium des Studentenverbandes und ließ Carolingia schriftlich eine Genugtuung zuteil werden. Erst in den neunziger Jahren treten, abgesehen von einzelnen Reibereien, erquicklichere Zustände ein.

Einen nochmaligen Vorstoß veranlaßte die Abzweigung des Vereins “Wiking” von Carolingia, und als ersterer es wagen wollte, als selbständiger Verein an dem Fackelzug gelegentlich des Rektoratswechsels teilzunehmen, reichten die “Nichtkonfessionellen” nebst einem Teil der Wildenschaft bei Rektor und Senat eine Klageschrift ein. Nach ihr sollten die kath. Korporationen wegen einseitiger Betonung des konfessionellen Standpunktes und ihres Mangels an akademischer Freiheit nicht “existenzberechtigt” sein und sind als “Gegner des guten Rechts der akademischen Freiheit” zu bekämpfen. Ferner sollten sie Politik usw. treiben. Der Senat lehnte es ab, die eingebrachte Resolution zu erörtern. Damit war der Versuch, dem Tochterverein Wiking das Dasein streitig zu machen, gescheitert.

Bei dieser Gelegenheit darf ein einzigartiger, mehrjähriger Streit nicht unerwähnt bleiben, der ebenfalls infolge des Prinzips der Religion mit den obrigkeitlichen Behörden entstanden war. Er begann im Wintersemester 78/79 durch eine Eröffnung des Aachener Polizeipräsidenten. daß Carolingia dem Vereinsgesetz von 1850 unterstehe und dessen Bestimmungen nachzukommen habe Der Gewalt nachgebend, reichte Carolingia den Bestimmungen des Vereinsgesetzes gemäß, jedoch unter Protest ihr Mitgliederverzeichnis ein, gab Zeit und Ort der Vereinsversammlungen an und mußte es sich gefallen lassen, daß ihre Sitzungen und Feste von einem Polizeibeamten überwacht wurden. Rekurse an die Aachener Regierung, der. Oberpräsidenten und den Minister blieben erfolglos. Trotzdem die Sache einzuschlafen schien. beruhigte sich dennoch der Verein nicht und ließ durch einen Aachener Abgeordneten die Angelegenheit persönlich dem Herrn Minister vortragen. In der Vereinsgeschichte heißt es. daß auf diese persönliche Vorstellung weder “dem Abgeordneten, noch dem Verein selbst ein positiver Bescheid” wurde, jedoch von diesem Zeitpunkte ab die “Belästigungen seitens der Polizeibehörde” aufhörten.

Nach der Gründung stieg bald die Mitgliederzahl, und schon 1874 konnte Carolingia auf die stattliche Zahl von 36 Mitgliedern blicken, obgleich verschiedene teils ausgetreten, teils entlassen waren: eine Erscheinung, die bei einem jungen Verein, wo noch jede Tradition fehlte, nicht auffallend sein konnte. Bis 1878 hielt sich die Ziffer fast auf gleicher Höhe, um dann mehr und mehr zu sinken. Wenn dieser Rückgang auch zum größten Teil eine Folge des geringeren Besuches der Hochschule war, so trifft doch eine gewisse Schuld den Verein selbst. Als die Zahl der Mitglieder 1886 auf drei herabgesunken war, suspendierten diese den Verein, blieben aber untereinander in regem Verkehr und bemühten sich. durch ihren Umgang mit den Kommilitonen und durch ihr Auftreten wieder neue Sympathien für Carolingia zu erwecken. Das Vorgehen hatte Erfolg, und schon zum Wintersemester 86;87 meldeten sich drei eifrige Kommilitonen zur Aufnahme in den suspendierten Verein. Durch den Opfermut und die Selbstzucht der kleinen Schar wuchs die Mitgliederzahl ständig, das Vereinsleben blühte von neuem, die früheren guten Beziehungen zur Bürgerschaft lebten wieder auf, und so konnte bereits 1888 Carolingia mit 13 zielbewußten Burschen und mehreren Füchsen getrost in die Zukunft schauen. Ein reges Vereinsleben entwickelte sich in erfreulicher Weise wieder wie früher, ernste Konvente und wissenschaftliche Vorträge wurden gehalten, und gemütliche Kneipen, Tanzkränzchen, gemeinsame feuchtfröhliche Wanderungen, sowie glanzvolle Stiftungsfeste förderten die Freundschaft. Daneben wurde jedoch das Studium keineswegs vernachlässigt, wovon manches gut bestandene Examen mit nachfolgender feierlicher Examenskneipe sowie die im Leben errungenen Stellungen der Mitglieder die besten Beweise liefern.

Als Carolingia 1904 auf 43 Mitglieder angewachsen war, traten mit Genehmigung des Konventes 14 Mitglieder aus und gründeten, wie bereits erwähnt, den Verein “Wiking”, der die gleichen Prinzipien vertritt.

Ein lang ersehnter Wunsch des Vereins nach einem eigenen Heim erfüllte sich endlich 1919. Der zu dem Zweck gegründete Hausbau-Verein, E. V., erwarb das gut gelegene Anwesen Jakobstraße Nr. 27. Wenn auch durch die Ungunst der Zeitverhältnisse und durch die herrschende Wohnungsnot das Haus einstweilen noch nicht für die Zwecke des Vereins nutzbar

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gemacht werden kann, so kann man den Verein dennoch zu dem Ankauf, der noch zu annehmbarem Preise erfolgte, beglückwünschen.

Dreimal hatte Carolingia die Ehre, die Generalversammlung des Verbandes der katholischen Studentenvereine Deutschlands in den ehrwürdigen Mauern Aachens abhalten zu können, und zwar 1877, wo zum ersten Male ein Verein einer Technischen Hochschule als festgebender Verein auftrat, dann 1896 und 1909. Im Jahre 1894/95 war außerdem Carolingia Vorort und leitete die Geschäfte des Verbandes, der sich gegenwärtig aus 56 ordentlichen, 7 außerordentlichen und einem befreundeten Verein zusammensetzt mit 11715 Mitgliedern nach dem Stand vom 1. Februar 1920.

Als der Krieg ausbrach, folgten fast alle Aktiven dem Rufe zur Fahne, mehrere meldeten sich freiwillig. Auch mehrere Alte Herren, selbst solche, die längst der Wehrpflicht entwachsen waren, zogen begeistert aus. Im ganzen starben 17 den Heldentod. Wenn auch mit Leid und tiefem Schmerz Carolingia ihre Helden scheiden sah, so übermittelt sie doch mit Stolz der Nachwelt ihre Namen. Gleich im ersten Jahre 1914 fielen: K. Lüttiken , A. Radermacher und W. Schaffrath; 1915 folgten: J. Kohlmann, B. Leimkühler und Franz Zi1kens; aus 1916, dem verlustreichsten Jahre, sind zu nennen: N. Faßbender, J. Göbbe1s, K. Hamacher, K. Josten, F. Krücken, O. Schweer und L. Richstätter; aus 1917 endlich: J. Brück, K. Eßwein, Jakob van Gemmeren und W. Kirchfeld. Carolingia ehrte unter anderem ihr Andenken durch ein feierliches Seelenamt im Kaiser-Karls-Dome, bei welcher Gelegenheit der Herr Stiftspropst in längerer Rede der Gefallenen gedachte, ihnen einen warmen Nachruf widmete und die Zuhörer anhielt, in “Erinnerung und Dankbarkeit” der deutschen Männer zu gedenken, die in treuer Pflichterfüllung ihr Leben dem Vaterland geopfert haben: Eine Mahnung, die in heutiger, schwerer Zeit mangels der erhofften Erfolge leider zu wenig geübt wird.

Gar viele sind als Invalide, mit dem Kreuz für heldenmütiges Verhalten vor dem Feind und anderen Orden und Ehrenzeichen geschmückt, zurückgekehrt. Manche im freien Gebrauch ihrer Glieder behindert, die als Füchse oder Jungburschen auszogen, setzen nunmehr als gereifte Männer ihre Studien mit Eifer und dem festen Willen fort, demnächst an dem Wiederaufbau des zusammengebrochenen Vaterlandes, für dessen Erhalten sie gekämpft und geblutet haben, mitzuwirken.

Zum goldenen Jubelfeste begrüßt nach dem Jahrbuch von 1920 Carolingia die Hochschule mit 39 Burschen und Inaktiven i. I.; einem Kranz von 11 hoffnungsvollen Füchsen, einem Ehrenmitglied, 9 Ehrenphilistern und einer Schar von 147 Alten Herren, meist in gehobenen und leitenden Stellungen, als Beamte im Staate, in den Kommunen und in der Industrie, oder als Besitzer von Gewerken und Geschäften und im Privatleben. Alle, die die Goldblausilber-Fahne hochhalten, fühlen sich einig mit der Jubilarin und denken mit Genugtuung dankbar an die Zeit zurück, wo sie am Born der Wissenschaft den Grundstock für ihr ferneres Leben legen konnten.

Möge die Hochschule, die vor fünfzig Jahren unter so günstigen Auspizien während des glorreich durchgeführten Krieges ihre Tore der Wissenschaft öffnete, auch ferner, wie bisher wachsen, blühen und gedeihen ad multos annos: Das soll der Glückwunsch Carolingias sein, den sie ihrer alma mater zuruft und mit der sie während 49 Jahren eng verbunden war, getreu dem Wahlspruch des Vereins:

“Graviter severa, hilariter serena!”

Korps Delta.

über die Gründungsgeschichte des Korps Delta findet sich in den Annalen, daß der Polytechniker Lamberty im Oktober 1871 am Schwarzen Brett des Polytechnikums eine Aufforderung erlassen hatte, daß alle, die gewillt seien, das Staatsexamen als Architekt oder Ingenieur abzulegen, sich versammeln möchten, um über einen unter ihnen zu gründenden Verein zu beraten.

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Am 4. November 1871 fand diese Versammlung im Restaurant Alt-Bayern in der Wirichsbongardstraße statt. 18 Polytechniker hatten sich eingefunden und waren sich einstimmig darüber klar, diesen Verein zu gründen, der nach außen nicht offiziell auftreten, sondern nur eine Vereinigung sein sollte. Allwöchentlich wollte man sich einmal treffen am Samstagabend im Lokal Bünten. Die nächsten Sitzungen dienten zur Aufstellung der Statuten, des Namens, des Wahlspruches, der Farben und des Wappens des neu gegründeten Vereins. Als Farben wählte man rot-gold. Der Name Delta fand allgemeinen Anklang nach der Begründung, daß der griechische Name “Delta” sowohl in der Mechanik wie Mathematik jedem Polytechniker schon gute Dienste geleistet hätte und noch leisten werde, daß er als Dreieck sowohl in der Architektur wie in der Baukonstruktion eine vielfache Verwendung fände und daß er endlich noch fast identisch sei mit dem im Baumeisterzeichen enthaltenen Symbol. Der Wahlspruch lautete

Ernst mit Lust gepaart, heißt bei uns Studentenart.

Dieser einzigartige Spruch blieb das Leitmotiv des Delta die ganzen Jahre hindurch. Es kam nun so, wie die Gründer beschlossen hatten. In den allwöchentlichen Versammlungen wurden nach den geschäftlichen Verhandlungen wissenschaftliche Vorträge, gehalten und Besprechungen über die wissenschaftlichen Exkursionen, die innerhalb des Vereins, häufig zu den benachbarten Werken jeder Art gemacht wurden, danach fand die offizielle Kneipe statt, abwechslungsreich gewürzt durch musikalische und humoristische Unterhaltungen. Professor Heinzerling wurde durch eine Schenkung Gründer der wissenschaftlichen Bibliothek, die zusammen mit einer Mineraliensammlung eine Anziehung für den Verein. bildeten.

In Aachen selbst verkehrte der Verein mit dem seinerzeit hier bestehenden Verein Demokrit und später mit dem akademischen Ingenieurverein. Nach außen knüpften sich Fäden an mit der Vereinigung “Motiv”, Berlin, die zu einem Verhältnis führten, das Jahre offiziell und freundschaftlich aufs engste gepflegt wurde. Alljährlich zur Weihnachtskneipe stiftete Delta einen mächtigen Aachener Printenmann, Motiv ein Fäßchen Gilka.

Mit dem innerlichen und äußerlichen Erstarken des Vereins bekam Delta seinerzeit auch Einfluß auf die Begebenheiten des Polytechnikums. So ist es ihm zuzuschreiben, daß Architektur- und Bauingenieurstudium getrennt wurden. Weiter wurde von seiten des Polytechnikums aus der Verein um seine Ansicht gebeten, ob an Stelle des Bauführerexamens das Diplomexamen treten solle.

Am 29. November 1879 war die Gründung des “Alten Herrenverbandes”, der seinen Sitz in Berlin haben sollte. Die offiziellen Mitteilungen erschienen im Wochenblatt für Architektur und Ingenieure. Das erste Mitgliederverzeichnis wurde gedruckt.

Nach verschiedenem Wechseln der Kneipen wurde es für die Entwicklung des akademischen Vereins “Delta” von großer Wichtigkeit, daß er in dem gutbekannten Lokal Alt-Aachens . “Alt-Bayern” für viele Jahre eine Heimstätte fand, und jeder, der sich der damaligen Zeit erinnert, weiß, welch wichtige Rolle “Delta” von dieser Stätte aus in der Studentenschaft wie in des Bürgerschaft gespielt hat.

Im Jahre 1881 löste sich der “akademische Ingenieurverein” auf und vermachte sein ganzes Inventar dem Verein Delta, der durch diese Erbschaft wie später mit Auflösung des “Demokrit” viele Sachen und Erinnerungen übernahm.

Am 9. Dezember 1881 wurde H. Junkers, der später als ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule tätig war, durch Ballotage in den Verein aufgenommen. Am 8. Juli 1882 J. Obergethmann, der später auch hier an der Technischen Hochschule eine ordentliche Professur bekleidet hat. Am 14. Dezember 1882 W. Lynen, der ebenfalls hier ordentlicher Professor wurde. Am 26. Juni 1883 K. Sieben, der, wie der 1887 eingetretene N. Holz, noch heute der alten alma mater treu geblieben ist.

Noch ein Mitglied des hiesigen Lehrkörpers trat in nähere Beziehung zum Verein. Aug. Hirsch verkehrte als Student wie als ordentlicher Professor viel bei Delta und später wurde ihm, dem Mitglied des ehemaligen akademischen Ingenieurvereins, als Zeichen der Zugehörig

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keit die Korpsschleife verliehen. Außer diesen Professoren ist aus dem “Delta” für die Hochschule noch eine größere Anzahl Assistenten hervorgegangen, die dann teils in die Praxis gegangen sind, teils als Gründer und Lehrer von Maschinenbauschulen sich einen Namen gemacht haben.

In den neunziger Jahren spielte in Aachen der Karneval eine große Rolle. Es fanden offizielle Umzüge statt, an denen sich auch wohl die Studentenschaft zu beteiligen pflegte. Im Jahre 1883 fiel in dem Karnevalszuge besonders der Wagen des Vereins Delta auf, der als Emblem die “Aachener Violine” darstellte und große Freude hervorrief. Sie hatte folgende Bewandtnis. In der Pontstraße 13 war ein Wachlokal des alten Polizeipräsidiums, das im Volksmund “de Vigolin” genannt wurde. Auf dem Karnevalswagen waren Deltaner als Schutzleute verkleidet, die ihre Vereinsbrüder und Bekannte oben in die große Violine steckten, in deren Hohlraum sie ein Maß Bier pro poena trinken mußten, bis sie aus einer Röhre den Wagen verlassen durften. Als ein Zeichen der Zeit mag es noch angesehen werden, daß der Tischlermeister erklärte, als dem Verein die Rechnung für die Violine zu hoch erschien: ,dann möchten die Herren bezahlen, was sie für angebracht hielten!” und man einigte sich. Im darauffolgenden Jahr stellte ein eigener Wagen des Vereins ein Eichamt dar, das nicht nur die Gläser, sondern auch die Menschen eichen konnte.

Zwischen 1880 und 1890 trat ein Umschwung im Vereinsleben ein. Das Ganze näherte sich mehr dem Leben der Studentenverbindungen von heute. Aus den zwei Farben rot-gold wurden drei, schwarz-gold-rot.

Ein größerer Zusammenhalt kam dadurch, daß man sich außer des Samstags noch am Dienstagabend zu einer offiziellen Spielkneipe traf. Es bildeten sich die Begriffe: Füchse, Burschen, Füchseprüfung, Rezeption und Abkürzungen für Füchse und Burschen und für die verschiedenen Versammlungen. Es gab jetzt drei Chargierte, einen Fuchsmajor. Chargenbezeichnungen wurden eingeführt. Ein dritter Abend kam hinzu; außerdem der Sonntagsfrühschoppen. Man trat allmählich auch nach außen als Studentenverbindung auf. Auf dem Korridor des zweiten Stockes der Hochschule pflegte derzeit Portal zu sein. Bei Stiftungsfesten fuhr man mit Vorreitern durch die Stadt. Man fing an, mit den andern Korporationen, die sich gebildet hatten, offiziellen Verkehr aufzunehmen. Auch die Alten Herren schlossen sich zusammen und ließen im Verein mit Motiv in Berlin, in Düsseldorf und anderen Orten A. H.-Abende stattfinden.

Ein wesentlicher Unterschied mit der heutigen Korporation bestand in der Auffassung der Mensur. Es wurde wohl gepaukt, die Mitglieder waren verpflichtet, bei Beleidigungen in studentischer Weise Satisfaktion zu geben und zu verlangen. Aber Bestimmungsmensuren und pp.- Suiten waren verboten. Statt der letzteren sollten die Chargierten Säbel fechten. Erst im Laufe der Zeiten kam es dann zu pp.-Suiten, Sekundantenpartien, Schlägermensuren auf Vereinbarung und Mensurbeurteilungen. Eins entwickelte sich aus dem andern.

Nur vom Couleurtragen wollte man lange Zeit nichts wissen. Die Alt-Herrenschaft war strikte dagegen, weil sie die Schwierigkeiten kannte, die in den siebziger Jahren den farbentragenden Studentenverbindungen entstanden waren, Schwierigkeiten, die zur Suspension aller dieser führten. Erst 1895 brachte die Entwicklung der Verhältnisse an der Technischen Hochschule es mit sich, daß man der Frage Couleur zu tragen wieder nähertrat. Mittlerweile war nämlich die Philisterstadt Aachen, die in jedem Studenten einen Raufbold und Zecher sah, dazu gekommen, den Studenten mehr anzuerkennen. Und so beschloß im Juli 1898 die Aktivitas Farben zu tragen und sich von nun an “akademische Verbindung” zu nennen. Die Farben schwarz-gold-rot blieben in den Bändern und Mützenstreifen. Die Mütze selbst wurde dunkelrot mit hellrotem Streifen in der Perkussion. Die Fuchsenfarben waren schwarz-gold-schwarz. Bestimmungsmensuren wurden eingeführt, und es konnte nur zum Burschen rezipiert werden, der genügende Mensuren gefochten hatte.

Die freundschaftlichen Beziehungen zu auswärtigen Korporationen, die um 1900 herum in den Weinheimer Seniorenverband eingetreten waren, veranlaßten auch die akademische Verbindung Delta, Anschluß an den W. S. C. zu suchen. Nach der vorgeschriebenen Renoncenzeit wurde Delta am 5. Januar 1903 als vollgültiges Korps in den WSC-Verband aufgenommen.

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Die Burschenfarben wurden weiß-rot-gold, Perkussion: rot. Fuchsenfarben: gold-rot-gold. Mütze: rot mit weiß-rot-goldenem Streifen. Der Wahlspruch blieb. Der griechische Buchstabe Delta wurde im Zirkel mit aufgenommen.

Im Jahre 1910 war das Korps in der Lage, in der Turmstraße 38 ein eigenes Haus zu kaufen, in dem das Korps lebte, wuchs und blühte.

Als der Krieg ausbrach, eilten sofort 55 Deltaner zu den Fahnen. Später erhöhte sich die Zahl der Soldaten-Deltaner auf 70. Leider brachte dieser Krieg dem Korps den großen Verlust von13 Korpsbrüdern: A. Müller, F. Schalk, N. Hoppe, A. Beckers, Th.Narjes K-. Mathée, O. Zürbig, M. Kahr, A. Köhler, K. Wever, A. Schulte, A. May. K. Hoppe. Durch diese Verluste war das Korps mit dem Waffenstillstand nicht imstande. wieder aufzutun. Bis zum Herbst 1919 blieb das Korps suspendiert. Dann konnte die Suspension aufgehoben werden und trotz aller Schwierigkeiten, die sich durch die Besetzung des Korpshauses und eine geringe Aktivzahl in den Weg stellte, ist es dem Korps gelungen. heute wieder im eigenen Hause zur alten Stärke und zum alten Ansehen sich zu entwickeln.

I.A. d CC. des Delta

gez. Hansen

Katholische Deutsche Studenten-Verbindung Frankonia

Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bildeten sich nach und nach an sämtlichen deutschen und österreichischen Universitäten und verhältnismäßig erst spät seit den 90er Jahren auch an den technischen Hochschulen die farbentragenden katholischen deutscher Studentenbindungen, insgesamt 96 an der Zahl. Ihren Kartell -Verband. den C. V., riß eine mit der Zeit immer steiler ansteigende Entwicklungskurve bis in die vorderste Reihe aller Studentischen Verbände, und an diesem Aufstieg darf die Aachener Verbindung “Frankonia”, welche im Jahre 1906 den Vorort des C. V. inne hatte und seine Versammlung im Herbst 1912 in den Mauern der alten Kaiserstadt begrüßen konnte, einen nicht geringen Anteil sich zuschreiben.

Der kurze Faden der Verbindungsgeschichte, die am 15. Januar 1899 mit dem Gründungsfest begann, ist schnell abgewickelt. Im ersten Abschnitt bis zum Jahre 1910 galt es, auf dem von vielen anderen Korporationen bereits lange in Anspruch genommenen Boden der Hochschule Fuß zu fassen und trotz vielfach wehender widriger Winde hochzukommen. Auf Kneipen und Konventen pulsierte im Gasthof der alten Schwimmanstalt am Adalbertsteinweg, im “Wehrhaften Schmied” an der Jakobstraße und dann im Reichshof am Seilgraben ein frohes und ernstes Leben, je nachdem es galt, den ganzen echten übermut des deutsch” Studenten sich austoben zu lassen oder Mittel und Wege für die Lösung wichtiger Probleme zu finden, wie sie z. B. infolge des religiösen Prinzips der Verbindung sowie in Folge ihrer Auffassung des Begriffs und der Wahrung persönlicher Ehre mit der Zeit bedeutend hervortraten. Sonst floß das Korporationsleben in jenen Jahren einen ruhigen Gang. Die stehen heute in den Annalen als Philister verzeichnet, die es zu angesehenen, teilweise auch zu führenden Stellungen in Staatsdienst und Industrie brachten, wenn auch bei ihren jungen Jahren mit ihren Namen berühmte technische Errungenschaften noch nicht verbunden sein können. Und auch der Aachener Bürger erinnert sich gewiß öfters einiger typischer Originale die in der Schar mit den grünen Stürmern und schwarz-grün-goldenen Bändern besonders auffielen, wie z. B. unseres Büsen, vulgo Fäßchen, dessen Wohlbeleibtheit mit der Zeit so zunahm, daß er in ständiges Couleur-Verbot “personae causa” gesteckt werden musste, oder des ewig sprudelnden Theophil Hüttmann, der mehr denn je Grund hat zu wünschen, daß “der Zahn der Zeit auch über die Wunde unserer Tage sein Gras wachsen lassen möge”.

Seit 1910 ging der Fluß der Dinge lebhafter. Als nach einem kurzen Interregnum in der “Wartburg” an der Friedrichstraße der famose Plan, das alte städtische Marschiertor zu einer Frankenburg einzurichten, sich leider nicht verwirklichen ließ, erwarb die Verbindung bereits nach 12jährigem Bestehen das ehemalige “Goossens’sche Haus” in der Turmstraße zu eigen und stattete es in gediegener Weise mit einem Spiel- und Billardzimmer, mit Kneipe, Chargiertenzimmer, Bibliothek, Speisezimmer und 6 Buden aus, nicht etwa dank der Munifizenz

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eines hochherzigen Stifters, sondern dank dem opferwilligen Zusammenstehen aller. Leider machte der große Krieg der hier sich entwickelnden hingebenden Arbeit und frohen Freude ein jähes Ende. Die schnell verödeten Räume ouml;ffneten sich gastlich viel feldgrauer Einquartierung, als unter dem breiten Tor die Exzellenzen all die nach Westen ziehenden Kompagnien, Batterien, Schwadronen und Kolonnen ein letztes Mal musterten. Die wenigen in der Heimat sorgten dafür, daß durch Verbindungszeitungen und Liebesgaben die Frankensoldaten in der schwersten an die schönste Zeit ihres Lebens immer wieder erinnert wurden. Und denen im Felde erkannten schnelle Beförderungen und hohe Auszeichnungen wie ehrenvolle Wunden an, daß wir die Waffe nicht nur als Symbol der Verteidigung unveräußerlicher Ideale, sondern auch in blutiger Wirklichkeit zu führen verstanden. 17 Bundesbrüder starben vor dem Feinde den Heldentod: P. Schmitz, P.Brühl, Chr. Bock, O. Löhns, M. Kaboth, H. Lindermann, P. Emming, Ph. Kühle, J. Wertkamp, J. Wamich, X. Welty, W. Doetsch, E. Volmar, E. Strang, B. Carl, H. Samson, P. Strang.

Rund 20 vom Hundert der dem Vaterland in seiner höchsten Not Dienenden wurden mit ihnen dahingerafft, fertige und unfertige Menschen, voll von stolzem Können und noch stolzerem Wollen, wahllos, ziellos, aber nicht zwecklos. Tod, wo ist dein Stachel ? Müssen wir nicht das Opfer dieser Männer als Kraft empfinden, die uns selber hebt?

,Stille ruhn oben die Sterne und unten die Gräber, Doch rufen von drüben die Stimmen der Geister, Die Stimmen der Meister versäumt nicht zu üben die Kräfte des Guten!,

So wollen wir sie denn üben, all unsere reichen Kräfte, an dem neuen schönen Bau der deutschen Zukunft, denn “Das ist der Sieg, der die Welt besiegt: unser Glaube”, sagt der Apostel, und “Wer das Recht hat und die Geduld, für den kommt auch die Zeit”, lese ich bei Goethe, und die müssen es doch wissen. Wir fangen eben von neuem an und von Grund auf zu bauen, wir werden doch etwas gelernt haben!

Die aus dem Krieg an die lang entbehrte Hochschularbeit Zurückkehrenden mußten den dritten Abschnitt der Verbindungsgeschichte unter schwierigen auml;ußern Verhältnissen beginnen, da fremder, feindlicher Wille die Rückkehr in das mit Beschlag belegte Frankenhaus nicht gestattete. Aber trotzdem sollte Frankonia einen weitern Höhepunkt erklimmen, voll von froher Sonne und von hoffnungsfroher Aussicht, wie fruchtbares Neuland. Es war der 5. Juni 1920, der Tag, den weiteste Kreise der Aachener Hochschule und Bürgerschaft sowie des C.V. festlich mitbegingen, der Tag, an welchem Frankonia ihre Tochterverbindung “Kaiserpfalz” mit den Farben grün-silber-violett und mit dem Wahlspruch “Treudeutsch” gründete. In bewußter Anlehnung an den hohen Idealgehalt verklungener deutschester Zeit will die junge Verbindung dem neuen heraufkommenden Vaterland dienen und seinen freien, mehr ihrer Pflicht bewußten, als auf ihr Recht pochenden Bürgern eine angesehene Heimstatt der geläuterten alten, der neuen Ideen werden.

Hierfür haben Frankonia und die Pfalz ganz besonders geartetes Rüstzeug aufzuwenden, nicht neues, sondern bereits erprobtes, das viele Scharten fleißigen Kampfes aufweist. Denn was war es, das schon in den vergangenen Jahrzehnten der Industrialisierung Deutschlands trotz aller an sich großartigen sozialen Gesetzgebung die traurigen Perspektiven ahnen ließ, die heute Wirklichkeit geworden sind? Es war die radikale nationalistisch-egoistische Denkweise, die seit Beginn des vorigen Jahrhunderts den Gedankenkomplex des deutschen Idealismus abgelöst hatte, und die, statt sich in etwa allein dem Ausdehnungsdrang des Volksganzen dienstbar zu machen, immer mehr vom Volksgenossen gegen den Volksgenossen angewendet wurde. Die Gründung der Frankonia bedeutete die Aufstellung einer Kampfgruppe gegen diese Denkweise, und hierüber noch einige weitere Worte der Erläuterung zu sagen, dürfte den Zweck der bisherigen, die sonst Schall und Rauch wären, begründen und sicherlich auch der Klärung alter Gegensätze innerhalb der Studentenschaft nur dienlich sein.

Die Träger des deutschen Idealismus, Kant, Fichte, Schelling, Hegel, ursprünglich selber Theologen, hatten mit ihrer Gedankenwelt, die auf den alten christlichen Begriff des katego-

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rischen Imperativs und der Autonomie der Pflicht und der Hingabe an die Gemeinschaft aufgebaut war, eine glückliche und fruchtbare Zeit für das deutsche Volk heraufgeführt. Eine ganz neue, für ganz Europa maßgebende Bildung schuf wohl alle treibenden Ideen unserer Tage, so daß damals die deutsche Idee, wie Paul Rohrbach gezeigt hat. nicht bloß zu eigenem Nutz und Frommen gearbeitet hat, sondern auch eine universale Weltmission erfüllte. Aber wie bald sollte das Zeitalter der Maschinen dies ändern! Keine herbe Kritik soll diese große Periode treffen, der man es, alles verstehend, verzeihen muß, das sie den Herrenmensch zum Sklaven machte; denn ihr sprunghafter, aller vorsehenden Leitung spottender Aufstieg mußte mehr als von den Persönlichkeiten von den so ungeheuer komplizierten Verhältnissen abhängig sein. Aber ihr Fehler war: der Hunger nach wirtschaftlicher Prosperität, also nach dem alleinigen äußeren Erfolg, wurde immer brennender und unstillbarer und ausschließlicher. Die besonders von Fichte so gegeißelte Selbstsucht, das Streben nach Lust und Genuß, nach größtmöglichem physischen Wohlbefinden, nach völliger Unabhängigkeit der eigenen überzeugung, nach vollkommen ungehemmter Betätigung des Individuums, also kurz die Theorie von der maximalen Glückseligkeit schlug, mit jener Prosperitätssucht im Zusammenhang immer weiter Wurzel. Es ist nun folgerichtig, wenn der vierte, der proletarische Stand, diese Ideen begierig aufgriff. In einer Zeit, wo auch die bevorzugten Volksklassen der Begüterten und Gebildeten immer mehr über den nächsten sinnlichen die jenseitigen Zwecke des Daseins erst übersehen, dann leugnen lernten, jedenfalls aber eine laute, offene Betonung dieser Jenseitszwecke peinlich vermieden, mußte auch der geringe Mann sich selbst der Nächste sein, mußte der Kampf aller gegen alle zum Prinzip der Sittlichkeit werden. Von der materialistischen Egoismus-Moral bis zum Marxistischen Sozialismus und Kommunismus war nur noch ein Schritt, und wenn heute der auch diesem Systeme noch innewohnende Idealismus vielfach vergessen ist, und der Begriff des Vaterlandes, wie Treitschke sagt, dem Wahngebilde einer genießenden, geldzählenden, streikenden Menschheit gewichen ist, so sollte dies nicht wundernehmen. Wann wird sie, so fragen wir mit Kant, sich ihrer Krummholzigkeit bewußt werden?

Die Zeichen dieser Entwicklung wurden von den Gründern und Wegdeutern des C.V., unter denen sich z. B. die sympathischen Persönlichkeiten des verstorbenen Reichskanzlers Grafen von Hertling, des Vizepräsidenten des vormaligen Preußischen Landtags Geh. Rat Dr. Porsch und des Präsidenten der Nationalversammlung und jetzigen Reichskanzlers Fehrenbach befanden, klar erkannt. Aus dem Gedanken heraus, daß die beste Politik die auf den Prinzipien der Pflicht und der ausgleichenden Gerechtigkeit fußende Politik sei, und daß es am besten der Religion gegeben wäre, die großen sozialen Bewegungen durch Bemeisterung der Gegensätze in die Bahn der Geschichte klug einzulenken, fügte sie das religiöse Prinzip den alten akademischen Idealen des Deutschtums, der persönlichen Ehrenhaftigkeit und der Lebensfreundschaft hinzu. Die Pflege eines seelischen Solidaritätsempfindens in der Volksgemeinschaft, das für alle Volksklassen den Sinn des Lebens nicht im einseitigen behaglichen Genuß der Kulturerrungenschaften sieht, sondern in einer offen, frank und frei bekannten, bewußt metaphysischen Zweckbestimmung, das war der Sinn dieses Religionsprinzips der Verbindungen und muß es heute, wo der Schrei nach religiöser Erneuerung durch die Welt hallt, mehr als je sein. Daß dieses Religionsprinzip mit dem Konfessionsprinzip verbunden wurde, war hierbei nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, nicht, wie geargwöhnt wurde, des ultramontanen Machthungers. Denn nicht eine rein individuelle mystische Gefühlsduselei und Schwärmerei, sondern nur die in der Konfession für eine breite Auswirkung kraftvoll organisierte Religion konnte die Volksseele, als sie der Anarchie der Instinkte preisgegeben war, vor der gänzlichen Verelendung retten.

In diesem Sinne hat Frankonia eine zwar erst 20jährige, aber tüchtige Arbeit hinter sich. Wenn ihre Erfolge außen auch noch nicht sichtbar sein können, der Segen, den der von einem tief religiösen Verantwortungsgefühl getragene Akademiker im Verkehr mit den ihm untergebenen Hand- und Kopfarbeitern und bei seiner sozialen und politischen Vereinstätigkeit auf die breite Masse des Volkes ausübt, muß ungeheuer sein. Tief überzeugt von der Reinheit und Tüchtigkeit des religiösen Ideals und gestählt von einer straffen Verbindungsdisziplin.

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deren heilige segensreiche Ordnung alles Gleiche frei und freudig bindet, die Außenseiter nicht duldet und keine Kraftvergeudung durch immer sich zersplitternde Ideen und wechselnde Methoden kennt, tritt der Franke ins Leben, und gegenwartsfroh, mit warmem Enthusiasmus sucht er sein Bestes beizutragen, um in wahrem Solidarismus das Menschlich-Allzumenschliche durch das Mehrals-Menschliche zu erheben und so dem lieben deutschen Vaterland den schönsten Dienst zu erweisen.

Frank, Regierungsbauführer.

Korps Marko-Guestphalia.

Als im Jahre 1870 die Gründung der Aachener Hochschule stattgefunden hatte, faßte der in machtvoller Entwicklung begriffene “Weinheimer Senioren-Konvent” den Plan, an dem jungen Polytechnikum einen S.C. zu gründen. Pfingsten 1871 wurden in der S.C.-Tagung zu Weinheim die letzten Schritte unternommen, so daß am 2. Dezember 1871 das Korps “Guestphalia” entstand mit der ersten Chargenbesetzung. Don Granados X, Alemarniae-Karlsruhe, Schmidt-Tychsen XX Saxoniae-Hannover, Danco XXX Saxoniae-Hannover.

Die Satzungen des jungen Korps lehnten sich aufs engste an die Korpsprinzipien der beiden alten Mutterkorps Saxonia und Alemannia an. Die Pflege von männlicher Tüchtigkeit, Charakterstärke und Biedersinn, die Förderung von Geselligkeit, Freundschaft und frohem Jugendgenusse sollten bei Gewährung voller Freiheit in religiöser und politischer Hinsicht Zweck des Korps sein. Dazu forderte das Korps festes Zusammenhalten, Eintreten und Unterordnen des Einzelnen für und unter die Gesamtheit, strengste Pflichterfüllung im Sinne des Korpsprinzips und unbedingte Wahrung der eigenen Ehre und der des Korps. Diesen Prinzipien ist das Korps bis zum heutigen Tage unverändert treu geblieben.

Grün-weiß-schwarz waren die Farben der Korpsburschen, weiß-grün-weiß die der Füchse. Das Korps trug im Sommer grüne Mützen, im Winter weiße Pelzbarrets. Bis zum Jahre 1878 stand das Korps im offiziellen Freundschaftsverhältnis zu Alemannia-Karlsruhe und Visurgia-Hannover.

Mit fünf Füchsen wurde das erste Semester begonnen. Das junge Korps erfreute sich einer glänzenden gesellschaftlichen Stellung in der Bürgerschaft Aachens und schien alle Grundlagen einer gedeihlichen Fortentwicklung in sich zu bergen. Die Paukbücher des Korps bezeugen, wie fleißig in jenen ersten Jahren der Schläger geschwungen wurde; es weisen manche Semester mehr denn 50 Partien auf! Die Kneipe befand sich zuerst in Alt-Bayern, und der Bierkomment zeigt, daß man zu jener Zeit die feuchten Freuden des Kneipens ebenso, wenn nicht höher, einschätzte, als heute.

Von den Gründern und ersten Füchsen lebten bei Kriegsausbruch noch Don Granados in Mexiko nach erfolgreicher diplomatischer Tätigkeit in mexikanischen Diensten und W. Ebbinghaus, später gleichfalls A.H. des Korps als Fabrikant in Letmathe. Die übrigen sind früh gestorben, zum Teil während der langen Suspension des Korps verschollen.

Das Jahr 1872 zählt zu den glänzendsten des Korps, das damals mehr als 15 Aktive besaß. Unter diesen finden wir den spätern 1904 verstorbenen württembergischen Kammerherrn und Kammerpräsidenten R. H. Frhr. v. Gienanth, der gleichzeitig Stuttgarter Teutone war. Heute noch lebt von jenen Aktiven nur noch der A. H. R. Wolff in Elberfeld.

Schon das Jahr 1873 brachte bedenkliche Schwierigkeiten. Ein Teil der Füchse trat aus, Korpsburschen verließen Aachen, und auswärtige Korps mußten durch Abgabe von Burschen helfend einspringen. Ob die vorübergehende Suspension des Korps vom 30. Oktober 1874 bis 2. Dezember 1874 diese oder andere Gründe hatte, ist nicht mehr einwandfrei festzustellen.

Das Jahr 1875 ließ das Korps erneut aufblühen. Auswärtige W.S.C.-Korpsburschen unterstützten den C. C. und fünf Jungfüchse sprangen ein. Unter letztern befanden sich der nachmalige A.H. v. Baur-Colley, bis zu seinem Tode 1908 Generalkonsul des Deutschen Reiches zu St. Petersburg, und der 1914 verstorbene Korpsphilister E. Karcher, der, einer Saarbrückener Großindustriellenfamilie entstammend, sich später als Großkaufmann in Ant-

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werden bleibende Verdienste um die dortige deutsche Kolonie erwarb. In Magdeburg lebt heute noch als Rittmeister a. D. A.H. Ed. Schmidt, ein Fuchs jenes Semesters.

Leider sollten die kommenden Semester nicht die Verheißungen des Jahres 1875 halten Der Besuch der Hochschule hatte in jenen Jahren nachgelassen; die Jahre 1876 und 1877 brachten keinen geeigneten Zuwachs für das Korps. Nur noch wenige Füchse sprangen ein. unter ihnen der noch heute in Düsseldorf lebende A.H. und E. B. Neuerburg. Auch zeitweise Unterstützung durch W.S.C.-Korps konnten das Verhängnis nicht aufhalten: am. 28. Mai 1878 suspendierte Guestphalia endgültig.

Wenn auch der Zusammenhang zwischen den Korpsangehörigen ein reger blieb, ergab sich doch bis zu Beginn des neuen Jahrhunderts keine Möglichkeit einer Rekonstitution. Der Vorschlag des W.S.C., das Korps nach Darmstadt zu verlegen, wurde abgelehnt. und erst 1903 hatten sich die Verhältnisse an der Aachener Hochschule so entwickelt, daß ein Wiederauftun Aussicht auf Erfolg versprach.

Am 2. März 1903 wurde durch Korpsburschen Hannoveraner und Darmstädter Korps die “Guestphalia” mit den Prinzipien und Farben des alten Korps wieder aufgetan, lebhaft unterstützt durch die wenigen noch lebenden alten Westphalen. Kein Glück jedoch begünstigte das neue Korps, und nur durch übernahme von Burschen auswärtiger Korps gelang es, sich bis Mitte 1904 zu erhalten. Inzwischen waren die Verhandlungen mit der freischlagender “Akademischen Verbindung Markomannia” zu einem gedeihlichen Ende gelangt, und am 11. November 1904 vereinigten sich “Guestphalia”und “Markomannia” zu dem heutigen Korpc “Marko-Guestphalia”.

Dieser Schritt sollte sich in Zukunft als ein recht glücklicher erweisen, denn ihm verdankt das Korps seine weitere Entwicklung, die, von einigen fast hoffnungslosen Krisen abgesehen, doch einer ansteigenden Linie folgt. Gestützt auf die vereinigte zahlreiche Altherrenschaft der Guestphalia und Markomannia erstarkte das Korps zusehends, und erst der Krieg brachte diese Entwicklung zum Stillstand.

Getreu ihrem Korpsburscheneid eilten 35 Marko-Guestphalen zu den Fahnen, eine Zahl. die sich später auf die Hälfte aller lebenden Angehörigen erhöhte. Fünf Korpsbrüder starben den Heldentod: Seeliger, Rumschöttel, C. Winterberg, W. Bergerhoff und F. Demeure. 39 Korpsbrüder erhielten das Eiserne Kreuz II. Klasse, 16 das Eiserne Kreuz I. Klasse und 2 das Ritterkreuz des Hausordens von Hollenzollern.

Während des Krieges blieb die Verbindung zwischen den Korpsangehörigen stets eng. und ständig wurde für den Fortbestand des Korps nach dem Kriege Sorge getragen. Sind durch den unglücklichen Kriegsausgang auch eine Reihe von Wünschen und Plänen vernichtet worden, hat er doch nicht vermocht, die Kraft des Korps zu brechen. Am 6. Januar 1919 wurden drei 1914 rezipierte Korpsburschen wieder aktiv, und das neu erstandene Korps setzte die erfreuliche, durch den Krieg unterbrochene Entwicklung fort. Heute zählt die Aktivitas des Korps “Marko-Guestphalia” 10 C.B.C.B., 7 F.F. und 3 ortsanwesende i. a. C.B. i.a. C.B.

Die mit der “Guestphalia” vereinigte “Markomannia” entstammt dem am 12. November 1873 gegründeten, vorerst auf dem Boden der bedingten Satisfaktion stehenden “Akademischen Verein der Maschinentechniker”, der als schwarze Verbindung in seinen ersten Jahren rein wissenschaftliche Zwecke verfolgte. Sehr bald jedoch tauchten in den Akten des M.T.V. die ersten Anzeichen dafür auf, daß die organische Umwandlung des Vereins zur studentischen Korporation in vollem Umfange befindlich war. Schon seit 1875 wurden die Vereinsfarben blau-weiß-schwarz im Bierzipfel getragen und wenig später traten mit Wappen. Zirkel, Wahlspruch weitere Kennzeichen der Verbindung auf.

Hatte schon diese Entwicklung zu korporativen Zielen einen nicht unbedeutenden Verlust von nichteinverstandenen Mitgliedern gebracht, so sollte die nun folgende, auf das Prinzip der unbedingten Satisfaktion gerichtete Entwicklung noch ungünstiger werden. 1884 tauchten zum ersten Mal die Unterscheidung von Burschen und Füchsen auf, und die Beschaffung von Paradewichs und zehn Jahre später von eigenen schweren Waffen zeugen von dem Erstarken korporativer Gedanken in Verbindungskreisen. Hatte schon jede Neuerung in dieser

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Hinsicht Verluste von A. H. A. H. gebracht, so zeitigte das 1895 in die Satzungen aufgenommene Prinzip der unbedingten Satisfaktion den Austritt des größten Teils der Philister.

Schon das nächste Jahr brachte durch den Plan, die Bestimmungsmensur einzuführen, neue Kämpfe, die erst 1897 mit Durchführung dieses Planes endeten, wiederum unter Verlust von Alten Herren. Und ganz folgerichtig setzt sogleich der weitere Kampf zwischen burschenschaftlichen und korpsstudentischen Bestrebungen ein, erstere von wenigen, letztere von der überzahl der Mitglieder getragen. Die Auseinandersetzung beider Prinzipien war kurz, und seit 1898 mußte die inzwischen entstandene “Markomannia” als Verbindung mit reinem Korpsprinzip angesprochen werden. So haben in Markomannia’s Entwicklung die Keime zu dem glücklichen Aufblühen der “Marko-Guestphalia” gelegen.

A.V. Montania-Aachen.

Die akademische Verbindung Montania ist aus dem am 22. Februar 1872 gegründeten “akademischen Verein der Chemiker und Hüttenleute” entstanden. Dieser war eine reine Fachvereinigung; er hatte zum Ziele, seine Mitglieder durch Vorträge, Exkursionen und eine wissenschaftliche Bibliothek fachwissenschaftlich fortzubilden. Daß die studentische Geselligkeit schon seit den Gründungsjahren im Verein zu ihrem Rechte kam, zeigt der alte, später aufgegebene Wahlspruch: “Corpora non agunt nisi fluida”. Nach Einrichtung des Bergbaufaches an der Aachener Hochschule (1882) wurden auch Bergleute in den Verein aufgenommen. Ein bedeutsamer Markstein in der Geschichte der Korporation ist das Jahr 1882, da in ihm der Altherrenverband gegründet wurde. Um sein Zustandekommen hat sich sein langjähriger 1. Vorsitzender A.H. Generaldirektor Kintzlé besondere Verdienste erworben. Nach Kintzlés Tode ging die Leitung des Verbands an den A.H. Generaldirektor Kommerzienrat ‘Dr.-ing. h.c. Springorum, Vorsitzenden des Vereins deutscher Eisenhüttenleute, über, der wegen Arbeitsüberlastung später sein Amt an den A.H. Generaldirektor Petersen abgab. Den genannten wie vielen andern Alten Herren ist die Verbindung zu bleibendem Dank verpflichtet. Ohne die tatkräftige und opferfreudige Unterstützung des Altherrenverbands wäre die im ganzen stetige Entwicklung der Korporation nicht denkbar gewesen.

Im W. S. 1893/94 und im S. S. 1894 ruhte das Vereinsleben. Die Aktivitas war ohne Befragen des Altherrenverbands dazu übergegangen, volle Farben zu tragen, hatte sich eigene Waffen beschafft und deren Anerkennung gegen die Bestimmungsmensuren schlagender Aachener Korporationen erfochten. Der Altherrenverband mißbilligte den eigenmächtigen Schritt der Aktiven. Die Folge war die Auflösung des Vereins für die beiden genannten Semester.

Im Oktober 1894 wurde der Verein durch die Studierenden v. Campe, v. Giese und
Raters mit den alten Grundsätzen wieder aufgetan. 1897 wurden indessen erneut eigene schwere Waffen zugelegt und die Mitglieder auf den Grundsatz unbedingter Genugtuung verpflichtet.

Die Entwicklung zu einer enggeschlossenen Korporation der jetzigen Art nahm nun einen schnellen Verlauf. Erleichtert wurde diese schon seit längerer Zeit unverkennbare Entwicklungsrichtung dadurch, daß mehrere andere fachwissenschaftliche Verbindungen der Technischen Hochschule zu Aachen, die A.V. Delta und Markomannia, zum Tragen voller Farben und Schlagen von Bestimmungsmensuren übergingen. Gelegentlich des 30. Stiftungsfestes (1902) gab der Altherrenverband, dem Zuge der Zeit Rechnung tragend, der Aktivitas die Einwilligung, Mütze und Band zu tragen und den Grundsatz der Bestimmungsmensur anzunehmen. Mit Beginn des Wintersemesters 1902 zeigte der Verein erneut die bereits vor zehn Jahren getragenen Farben und erfocht die Anerkennung seiner leichten Waffen gegen die Korporationen Alania und Rheno-Borussia sowie Delta und Markomannia.

Im gleichen Jahre war es dem Verein als erstem der Aachener studentischen Vereinigungen möglich, ein ganzes Haus zu beziehen (Bärenstr. 9), nachdem er längere Zeit Ludwigsallee 1 eine Etage bewohnt hatte. Um die würdige und zweckentsprechende Ausstattung des Hauses erwarb sich Frau Generaldirektor Kintzlé besondere Verdienste.

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Nachdem im Jahre 1904 zum Diplom die Reifeprüfung verlangt wird, hat die Korporation das Maturitätsprinzip eingeführt. Hörer dürfen nur in beschränkter Zahl als Verkehrsgäste, die keine Farben tragen, aufgenommen werden.

Vom S. S. 1905 ab führt der Verein den Namen “Montania, A. V. der Chemiker, Berg- und Hüttenleute”, der im Sommersemester 1909 nach Aufnahme von Studierenden des Maschineningenieurfachs und der allgemeinen Wissenschaften in “Akademische Verbindung Montania” umgeändert wurde. Als Wahlspruch wurde gewählt: “Einer für Alle, Alle für Einen.”

Das Haus in der Bärenstraße genügte trotz baulicher änderungen schon bald den Anforderungen nicht mehr. Im Jahre 1905 wurde ein Ausschuß zur Bearbeitung der Hausfrage gewählt. Im S.S. 1908 wurde auf Vorschlag dieses Ausschusses der Plan, das alte Haus käuflich zu erwerben und gründlich umzubauen, fallen gelassen und der Bau eines neuen Hauses in der Lütticherstraße beschlossen. Schon am 17. Oktober 1908 war es dank der Opferfreudigkeit des Atherrenverbands möglich, die Grundsteinlegung festlich zu begehen. Am 11. Dezember wurde das Haus (Emmichstr. 162) unter größter Beteiligung von Herren des Lehrkörpers und Freunden der Verbindung eingeweiht und der Aktivitas feierlich übergeben.

Die gleichmäßige Entwicklung der Verbindung unterbrach der Weltkrieg. Gleich der übrigen studentischen Jugend eilten die Montanen, sich freiwillig dem bedrohten Vaterland zur Verfügung stellend, zu den Waffen. Von den 17 Alten Herren und 38 Aktiven und Inaktiven, die vor dem Feinde standen, sind die folgenden den Heldentod gestorben: A. Fuchs, K. Hofmann, H. Neuy, H. Brandenburg, F. Dowerg, P. Utsch, K. Beckmann, Ferd. Schneider, H. Auffermann, F. Hinselmann und R. Beckmann.

Von den zurückgekehrten Montanen waren 16 verwundet, darunter einige mehrmals. All die Korporation fielen an Auszeichnungen: 1 Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern. 19 Eiserne Kreuze I. und 48 11. Klasse, ferner außerpreußische Orden und Auszeichnungen der Verbündeten.

Auch bei der Niederwerfung der letzten Unruhen haben Montanen teilgenommen. Dabei wurde der R. Schroedter schwer verwundet.

Nach dem Kriege war die Verbindung bemüht, das Korporationsleben nach den altbewährten Grundsätzen weiterzuführen. Augenblicklich zählt sie 18 Aktive und 7 ortsanwesende Inaktive.

Vor dem Kriege bestand in der A. V. Montania wenig Neigung, einem Verbande beizutreten. Die A.V. Montania fühlt sich als in Kreisen der Montanindustrie wohlbekannte Korporation bei. der tatkräftigen Förderung durch ihren Altherrenverband stark genug, der Unterstützung durch einen Verband entraten zu können. Das allgemein sich bemerklich machende Streben, gleichgerichtete Kräfte zusammenzufassen, hat jedoch auf die Stellungnahme der A.V. Montania zur Verbandsfrage zurückgewirkt. Hinzu kommt, daß die im Kriege weitzerstreuten Montanen die Einsicht gewannen, daß die Zugehörigkeit zu einem Verbands auch ihre Vorteile hat. Es ist daher zu erwarten, daß das Verhältnis zum Aachener S.C (Paukverhältnis seit 1913) in Kürze ein engeres werden wird.

Turnerschaft Rheno-Borussia.

Nach dem großen Einigungskriege 1870/71 entwickelte sich das Turnwesen zu neuer Blüte. Namentlich studentische Kreise ergriffen den kraftvollen Gedanken des Turnvaters Jahn. Sie betrachteten das Turnen als das kostbarste Mittel zur Gesundung des Körpers, die für eine sittliche Erneuerung eines Volkes Vorbedingung ist.

Schon bald nach der Gründung der Kgl. Rhein.-Westf. Polyt. Schule zu Aachen, der späteren Technischen Hochschule, fand sich unter den Studierenden eine Schar begeisterter Anhänger der Turnkunst. Um dieser auch hier eine traute Heimstätte zu bereiten, gründeten sie am 20. Oktober 1871 den “Polytechniker-Turnverein” zu Aachen, das Urbild der jetzigen Turnerschaft “Rheno-Borussia”, mit dem Zweck, die Körpertüchtigkeit seiner Mitglieder durch Turnen, sowie dessen Verbreitung in der Aachener Studentenschaft durch eigenes und vereinigtes Wirken zu erstreben. Als aktive Mitglieder konnten die Studierenden und Hospitanten des

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Polytechnikums ohne Ausnahme aufgenommen werden, selbst wenn sie in andern Korporationen aktiv waren, ein Umstand, der einer gesunden Entwicklung des Vereins selbstredend durchaus hinderlich war. Da die Begründer des neuen Vereins größtenteils dem “Aachener Turnverein” angehörten, stellte sich ersterer mehr als Zweigverein des letztern dar, eine Tatsache, die in einer Reihe von merkwürdigen Verhältnissen ihren Ausdruck fand. Diese Abhängigkeit konnte jedoch schon am 25. April 1872 gelöst werden, weil der junge Verein bereits hinreichend gekräftigt schien, um selbständig die Turnkunst zu pflegen. Das gute Einvernehmen mit dem “Aachener Turnverein” erhielt durch diesen Schritt, der sogar auf Antrag desselben unternommen wurde, keinen Abbruch. Wie bisher wurden auch jetzt die Turnübungen gemeinsam mit den Turnern des “Aachener Turnvereins” in der städtischen Turnhalle “An der Schanz” abgehalten, und zwar bis zum Oktober 1878. Seitdem war es die “Aachener Turngemeinde”, die gastlich mit uns den Platz teilte und uns in unsern Turnbestrebungen mannigfaltig unterstützte. über das Vereinsleben der ersten zehn Jahre ist wenig zu berichten. Da die Mitglieder zumeist andern akademischen Korporationen, denen sie ihr Hauptinteresse entgegenbringen mußten, angehörten, ist es erklärlich, daß kein einheitliches Zusammengehen möglich war. Daß der Turnverein in dieser alten Form nie bessere Resultate würde erzielen können, wußten einsichtige Mitglieder wohl; aber ihre Bemühungen zur änderung scheiterten an der Interesselosigkeit der meisten Mitglieder. Erst zu Anfang des Sommer-Semesters 1881 trat eine Wandlung zum Bessern ein, indem die Turnübungen auf dem zum vollständigen Turnplatz umgewandelten Hof der Hochschule abgehalten wurden. Dieser Umstand zeigte seine Bedeutung bald durch die wesentlich erhöhte Zahl der Mitglieder. Dem allseitig wieder geweckten Interesse für das Turnen entsprang auch der Beschluß, durch ein großes Schauturnen und Stiftungsfest das Ansehen des Turnvereins in der Studentenschaft zu heben. Das Stiftungsfest wurde auf “Tivoli” begangen, wo die Beweise des turnerischen Geistes bei der zahlreich vertretenen Studentenschaft und dem teilweise anwesenden Lehrkörper der Technischen Hochschule große Anerkennung fanden.

Stärker an Vereinsbewußtsein und Turnergeist trat der Verein im Winter-Semester 1881/82 in das zweite Dezennium seines Bestehens. In den nunmehr häufiger stattfindenden Generalversammlungen wurden die Statuten einer genauen Revision unterzogen, wobei § 1 derselben folgende bis heute fast unverändert gebliebene Fassung erhielt: “Der Verein bezweckt die Förderung der Körpertüchtigkeit und Geselligkeit seiner Mitglieder durch turnerische übungen, Kneipen und Turnfahrten.” Alsdann beschloß die Generalversammlung vom 6. März 1882, der Aufforderung des A.T.V. Berlin, damals Vorort des “Kartellverbandes der akad. Turnvereine Deutschlands”, sich zur Aufnahme in den A.T.V. zu melden, zu folgen. Der Aufnahme sollten sich jedoch mannigfache Hindernisse entgegenstellen. Nach langen, anderthalb Jahren schwebenden Verhandlungen, die den Eintritt des A.T.V. Aachen in das Kartell nicht ermöglichten, sogar des letztern Sprengung in zwei Parteien veranlaßt haben, erfolgte auf der Schweizerhöhe bei Jena am 23. Juni 1883 zusammen mit Jena und Freiburg die Gründung eines Privatkartells unter dem Namen “Akademischer Turnbund” (A.T.B.). Nach fast zweieinhalbjähriger Mitgliedschaft erklärte unser Verein im Dezember 1885 seinen Austritt aus dem A.T.B., der inzwischen zu einem stattlichen Kartellverband herangewachsen war.

Über die Pflege der Turnkunst in diesen Jahren ist manches Erfreuliche mitzuteilen. Was die Mitgliederzahl anbetrifft, stieg diese auf eine früher nie erreichte Höhe. Sie betrug im Winter-Semester 1882/83 36, im Sommer-Semester 1884 41 28%, der gesamten Studentenschaft). Jetzt tauchten auch wieder die Bestrebungen auf, den Verein zu einer selbständigen Korporation zu erheben. Auch dieses Mal konnte diese Idee nicht ausgeführt werden, wenngleich ein weiterer Fortschritt auf dieser Bahn zu verzeichnen war: Am 25. Mai 1883 wurde der Wahlspruch “Mens sana in corpore sano”, der Name “Akademischer Turnverein” und Zirkel angenommen, und die wöchentliche Kneipe, die bei “Mutter Kloubert” am Templergraben abgehalten wurde, als Offizium eingeführt. Auch wurden neben den Turnstunden noch besondere Stunden zu Fechtübungen festgesetzt.

Im Dezember des Jahres 1885 fand der bereits erwähnte Austritt aus dem A. T. B. statt. Wenngleich der Verein mit Beginn des Vereinsjahres 1885/86 etwa 25 Mitglieder zählte, so

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war der alte Baum, der Akademische Turnverein, bis in seine Wurzeln morsch und mußte über kurz oder lang zusammenbrechen. Diesen übelständen sollte ein Ende gemacht werden. Unter Führung unseres A.H. Köster entstand eine Gruppe, die sich die Erreichung des Zieles zur Aufgabe stellte, das seit vielen Jahren von den tüchtigsten Mitgliedern angestrebt, aber nie erreicht worden war. Fortan sollte ein aktives Mitglied des A.T.V. einem andern Verein nicht mehr angehören dürfen. Das war der erste bedeutende Schritt zur Reorganisation des Vereins und zugleich der Grundstein, auf dem sich der Verein als festes Gebäude weiter bauen ließ. Bald sahen wir unsern A. T. V. in der Reihe der Korporationen der Hochschule auftreten und sich vollständig als selbständige Korporation ausbilden. In der Folge wählte man das Prinzip der bedingten Satisfaktion, es mag dies für die damaligen Verhältnisse zu Aachen wohl das richtige gewesen sein. Am weitern Aufbau wurde nunmehr rüstig weiter gearbeitet. Die Versammlungen wurden zu Vereinskonventen und Burschenkonventen; es wurde die Trennung der Mitglieder in Alte Herren, Burschen und Füchse eingeführt, überhaupt gelangte die Reorganisation nach den neugewählten Prinzipien zur vollständigen Durchführung. Ende des Winter-Semesters 1885/86 wurde der Name “A.T.V. Rheno-Borussia”, sowie der jetzige Zirkel angenommen. Die Couleurfrage, die auf eine Beratungsperiode von fast 10 Jahren zurücksah, fand ihren endgültigen Abschluß. Der vorbereitende Schritt geschah bereits am 13. März 1883, als man beschloß, Kneipcouleur anzulegen, um auf diese Weise die Mitglieder an die Gebräuche des Couleurwesens zu gewöhnen. Die Couleur bei der ersten günstigen Gelegenheit öffentlich zu zeigen, war man fest entschlossen. Am Morgen seines 18. Stiftungsfestes erschien der “A.T.V. Rheno-Borussia” in der stattlichen Anzahl von 22 Mitgliedern in voller Couleur am Portal der Hochschule. Die Mütze war weißseiden, das Band wie heute noch rot-weiß-rot mit silberner Perkussion, das Fuchsband rot-weiß. Noch im selben Jahre wurde das Prinzip der unbedingten Satisfaktion angenommen und das Schlagen von Bestimmungsmensuren eingeführt. Die an die Einführung der Couleur geknüpften Erwartungen erfüllten sich zur größten Zufriedenheit. Die angesehene Stellung des A.T.V. blieb dieselbe, ohne daß die freundschaftlichen Beziehungen zu den andern Korporationen unter der Veränderung der Prinzipien gelitten hätten.

Es wäre ein falscher Schluß, vermuten zu wollen, daß der Turnsache nunmehr Einbuße geschehen wäre. Im Gegenteil, wenn auch schwächer an Zahl von Turnfreunden, so waren die Leistungen in der Turnerei wohl von wenigen der frühern Jahrgänge erreicht worden.

Im Jahre 1892 wurde bei Gelegenheit des Stiftungsfestes der A.H.-Verband gegründet, der seither die Korporation mit Rat und Tat in eifriger, opferfreudigster Weise unterstützt. Hier verdienen einige unserer Alten Herren besonders erwähnt zu werden: Baurat Dr.-Ing. h. c. E. W. Köster studierte von Herbst 1882 bis Frühjahr 1887 zuerst einige Semester in Hannover, später an der hiesigen Technischen Hochschule. Nach beendigtem Studium war er in verschiedenen Werken des Maschinenbaues und der chemischen Industrie als Konstrukteur und Betriebsleiter tätig. Im Jahre 1900 trat er in den Vorstand der neugegründeter. Maschinenbau-A.-G. vorm. Pokorny und Wittekind, Frankfurt, an deren Gründung er beteiligt war; 1916 wurde er zum Generaldirektor ernannt. In Industriekreisen ist der Name Köster allbekannt durch die Erfindungen, die er im Laufe der Jahre gemacht hat. Im fahre 1918 wurde Köster zum Baurat ernannt und ihm vor kurzem in Anerkennung seiner Verdienste um die deutsche Industrie der Titel Dr.-Ing. h.c. der Aachener Hochschule verliehen.

Prof. Dr.-Ing. Oskar Simmersbach bezog im Herbst des Jahres l891 als Student der Eisenhüttenkunde die Technische Hochschule zu Aachen und später die Bergakademie zu Berlin. Im Frühjahr 1895 ging er zunächst in Oberschlesien, dann in Rußland in die Praxis, wo er im Alter von noch nicht 27 Jahren eine Direktorstelle bekleidete. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde ihm die Leitung der Gesellschaft für Erbauung von Hüttenwerksanlagen in Düsseldorf übertragen; während dieser Tätigkeit erfolgte seine Berufung zum Professor an die Technische Hochschule zu Aachen. 1909 folgte er einem Rufe als Professor für Eisenhüttenkunde und konstruktive Hüttenkunde an die neugegründete Technische Hochschule zu Breslau. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind nicht nur in Deutschland, sondern auch weit über seine Grenzen hinaus bekannt. Seinem tatenreichen Leben setzte der Tod

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am 14. Dezember 1918 ein frühes Ende, nur 47 Jahre ist unser unvergeßlicher Simmersbach alt geworden.

Die Bestrebungen der technischen Hochschulen, Gleichstellung mit den Universitäten zu erlangen, mußten naturgemäß auch ihren Einfluß auf die Korporationen an den technischen Hochschulen ausüben. Von der überzeugung ausgehend, daß zu einer völligen Gleichstellung besonders die Einführung des Maturitätsprinzips geeignet erschien, beschloß der “A.T.V. Rheno-Borussia” am 2. Februar 1898, das Maturitätsprinzip streng durchzuführen. Der großen Vorteile bewußt, die der Anschluß an einen großen Verband in sich barg, meldete sich die “Rheno-Borussia”, die bereits am 11. Februar 1900 den Namen Turnerschaft angenommen hatte, in den V.C., den “Verband der Turnerschatten an deutschen Hochschulen”, und wurde am 18. Januar 1903 auf dem o.V.C. zu Marburg in diesen aufgenommen.

In den folgenden Jahren entwickelte sich die Turnerschaft weiterhin kräftig und nahm einen erfreulichen Aufschwung. Dank der Opferfreudigkeit unserer Altherrenschaft ging ein langgehegter Wunsch nach einem eigenen Hause endlich in Erfüllung. Im Jahre 1907 hielt die Turnerschaft ihren Einzug in ihr am Hang des Lousberges gelegenes Rheinpreußenhaus und fand hier ein geräumiges und gemütliches Heim. Es kam eine Reihe von Jahren voll frohen geselligen Treibens. Die alljährlich stattfindenden Turn- und Rheinfahrten, die feuchtfröhlichen V.C.-Turnfeste in Gotha sind unvergeßliche Erinnerungen geworden. Dabei wurde aber auch das Turnen nicht vergessen. Bei jedem Stiftungsfest und bei Gelegenheit der Einweihung der Talbotturnhalle im Sommer 1914 wurde ein Schauturnen abgehalten.

Bei Ausbruch des Krieges eilte die Aktivitas geschlossen und mit ihr fast alle Alten Herren zu den Fahnen. Neun der Besten wurden den Reihen der Rheinpreußen, die voll Begeisterung ins Feld gezogen waren, entrissen: K. Doerks, K. Eck, K. Klei, W. Klöne, F. Langewiesche, F. Oberhoffer, L. Püllen, M. Scholz und W. Spengler.

Sie kämpften und fielen für die Ideale ihrer Farben und ihres geliebten Vaterlandes. Ihr Andenken zu bewahren, ist uns eine heilige Pflicht. Von den Mitgliedern der Turnerschaft erwarben sich einer den Hausorden von Hohenzollern, 29 das E. K. I und 88 das E. K. II neben vielen andern Kriegsauszeichnungen.

In den Kriegsjahren wurde unter den einzelnen Farbenbrüdern und Alten Herren ein reger Verkehr gepflogen. Der Liebe der ortsanwesenden Alten Herren zu ihrer alten Turnerschaft war es zu verdanken, daß wir 1914 nur 2 Monate zu suspendieren brauchten, und daß die Rheinpreußen, die verwundet, krank oder auf Urlaub durch Aachen kamen, hier stets eine gastfreundliche Stätte fanden. Der unglückliche Ausgang des Krieges hat uns oft mit banger Sorge um die Zukunft unserer “Rheno-Borussia” erfüllt. Aber es zeigte sich, daß der Geist der alten Rheinpreußen fortlebte. Kaum waren die ersten aus dem Kriege zurückgekehrt, wurde weiter an dem Aufbau des Bundes gearbeitet. Eine stattliche Anzahl neuer Füchse wurde für unsere Farben gewonnen, und heute blickt die “Rheno-Borussia” auf eine Gesamtmitgliederzahl von 147 Rheinpreußen, von denen über 40 jetzt an der hiesigen Technischen Hochschule ihren Studien obliegen.

Körperliche und sittliche Kräftigung, treue Freundschaft, ehrenhafte und vaterländische Gesinnung, das sind die echt deutschen Ideale und Ziele der Rheno-Borussia. Spiel und Sport stählen auf Turnboden und Rasen den Körper, im Verein mit Pauk- und Mensurboden sorgen sie für Waffentüchtigkeit, Zucht und Charakterbildung; gesellige Unternehmungen schaffen studentischen Frohsinn. Dies alles faßt der Wahlspruch der “Rheno-Borussia” zusammen

“Mens sana in corpore sano!”

Burschenschaft Teutonia.

Dem eisernen Willen deutscher Männer der Technik, den burschenschaftlichen Gedanken an der Westmark des Deutschen Reiches besonders zu kräftigen, verdankt die Burschenschaft “Teutonia” ihre Entstehung.

Am 17. März 1909 erfolgte die Gründung, und am 15. April zog bereits zum ersten Male eine stattliche Burschenschar in schwarzer Samtmütze mit dem freiheitlichen schwarz-rot-

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goldenen Bande zur Hochschulpforte als Zeichen der festen Absicht, nunmehr sich als weiteres Bollwerk des Deutschtums Geltung zu verschaffen.

Eine der dankbarsten Aufgaben burschenschaftlichen Wirkens wurde endlich in der alten Kaiserstadt durch diese Neugründung nach langjährigen Mühen zur Ausführung gebracht. Alle frühern Versuche, die wohl bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen, waren ohne jeden Erfolg.

Selbst im Anfang des neuen Jahrhunderts hatte die Aachener alma mater nicht gerade überfluß an akademischen Verbindungen. Es gab eigentlich nur eine Burschenschaft, eine Turnerschaft und etliche farbentragende und schwarze Vereinigungen, die bereits zu großen Verbänden im Reich gehörten oder dringend solchen Anschluß suchten.

Diesem Bestreben zum Ganzen in jener Zeit verschloß sich auch der Rüdesheimer Verband Deutscher Burschenschaften an technischen Hochschulen (R.D.C.) nicht und versuchte, die bisher nur von der B. “Alania” vertretene burschenschaftliche Sache in Aachen auf eine breitere Grundlage zu stellen. Durch Zusammenschluß verschiedener an der Hochschule studierender Mitglieder anderer R.D.C.-Burschenschaften wurde endlich am 10. Oktober 1906 die Burschenschaft “Rheno-Germania” mit den Farben schwarz-rot-gold gegründet und auf diese Weise ein kräftiger Unterbau geschaffen, der dem ohne Zweifel tatenlustigen Aufstreben aller Mitglieder in jeder Weise angepaßt zu sein schien. Eine neue Stätte der Begeisterung der akademischen Jugend für den völkischen Gedanken war ins Leben gerufen: B. “Rheno-Germania”, und B. “Alania” bildeten die Aachener Burschenschaft.

Trotz der Unterstützung, die der B. “Rheno-Germania” von vielen Seiten zuteil wurde, konnte sie sich jedoch nicht so recht entfalten. Der Nachwuchs blieb aus, da es schwer war, in Aachen wegen der besonders gearteten örtlichen Verhältnisse festen Fuß zu fassen.

Auch ein anderer Bund, der im Jahre 1899 gegründete akademisch-wissenschaftliche Verein “Techne”, der im Sommer-Halbjahr 1903 die Farben schwarz-weiß-grün aufgesetzt hatte, rang zu dieser Zeit um sein Leben. Seine bereits früher zum Ausdruck gebrachten Grundsätze, namentlich der einer unbedingten Genugtuung auf alle Waffen, wurden von einer Reihe seiner Angehörigen immer mehr in den Vordergrund geschoben und führten schließlich zu starken Meinungsverschiedenheiten. Diese unüberbrückbaren Gegensätze hatten sehr bald die Auflösung der “Techne” zur Folge und ließen das mit vielen Opfern getragene schwarz-weiß-grüne Band von der Aachener Hochschule verschwinden. Aber unter der kleinen, noch treu zusammenhaltenden Technenser-Schar hatte sich der feste Entschluß durchgerungen, die eingeschlagenen Wege weiter zu beschreiten. Am 9. Juli 1904 wurde die Aachener Studentenschaft durch die Gründung der akademischen Verbindung “Cheruscia” mit den Farben violett-weiß-grün überrascht. Ihr Wahlspruch “Treu dem Freunde, Trotz dem Feinde” drückte die Stimmung aus, die der neuen Vereinigung ihr Gepräge gab. Kurz entschlossen trat sie an die ihren Bestrebungen am nächsten stehenden Verbindungen B. “Alania”, TV. “Rheno-Borussia” und A.V. “Montania” heran und errang die Anerkennung ihrer Waffen. Alsdann wurde sie nach Annahme der burschenschaftlichen Grundsätze am 26. Mai 1905 freie Burschenschaft mit den bisherigen Farben und verstand sich schnell Anhang zu verschaffen.

Die gleichgerichteten Ziele führten im Anfange des Sommersemesters 19119 zu Verhandlungen mit der Burschenschaft “Rheno-Germania”, die bald mit einer Verschmelzung der beiden Burschenschaften unter dem Namen “Teutonia” und den Farben schwarz-rot-gold abschlossen.

Die Burschenschaft “Teutonia” trat nun am 15. April 1909 an die öffentlichkeit und machte sich die Wahrung der in ihrem Wahlspruch “Ehre, Freiheit, Vaterland” gekennzeichneten Grundsätze zur besondern Richtschnur. Durch rege Pflege der Wissenschaft, durch eingehende Beschäftigung mit politischen und wirtschaftlichen Fragen sucht sie, eifrig unterstützt von ihren im Leben stehenden Alten Herren, ihre Mitglieder, frei von phantastischer Deutschtümelei, zu zielbewußten deutschfühlenden Männern für Staat und Leben zu erziehen In richtiger Erkenntnis ihrer vaterländischen Aufgaben pflegte sie in ausgedehntem Maße die körperlichen übungen der Mitglieder. Ihrer Faustballmannschaft gelang es als Vertreterin der ganzen Aachener Hochschule, in Leipzig anläßlich der Jahrhundertfeier der Völkerschlacht

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1913 silbernen Lorbeer, Diplome und sonstige Preise als gutes Beispiel für den jungen Nachwuchs heimzuführen.

Sah sich auch innerhalb der Burschenschaft das Spiel des akademischen Lebens auf froher Bierkneipe bei Mutter Kloubert oder im alten Elisenbrunnen oder am Biertisch in der gastlichen “Germania” stets heiter an und brachte bei launiger Weise unvergeßliche Stunden, so fehlte dem Bunde doch dasjenige äußere Zeichen, mit dem seine Stärke und gute Fortentwicklung eng verbunden ist, das eigene Heim.

Bereits am 13. November 1913 konnte der allen Geldopfern willfährige Alt-Herren-Verband den regen Aktiven ein passendes Bundeshaus in der Salvatorstraße am Fuße des Lousberges als Sammelstätte arbeitsfreudigen, burschenschaftlichen und geselligen Wirkens zur Verfügung stellen.

Diesem schöpfungsfreudigen Drange wurde durch den Ausbruch des Weltkrieges ein unerbittliches Halt entgegengesetzt. Der aktive Bund mußte sich auflösen, und der in ihm entfesselte furor teutonicus trieb fast sämtliche Angehörigen der Burschenschaft, 34 an der Zahl, zu den schwarz-weiß-roten Fahnen. Grausige Ernte, wie wohl in keinem andern Bund, hielt der Tod unter ihnen. Klanglos zwar sanken sie in den Orkus hinab, aber unauslöschlich werden ihre Namen in den ehernen Annalen der Burschenschaft festgehalten werden.

Von den 21 nicht heimgekehrten Teutonen waren in den ersten Kriegsmonaten bereits 15 gefallen.

In den Heldengräbern ruhen: W. Mühlhäuser, H. Hofmann, H. Kalversieb, E.Wagner, H. Poppe, K. Kortlang, F. Becker, H. Köster, E. Zimmermann, F. Jahn, H. Hammel, M. Haus, A. Müller, H. Lösch, F. Spennemann, E. Schäffler, E. Beckerling, A. Freudenberg, F. Kerstein, H. Schmidt, F. Rosenbaum.

“Wie sollen wir euch danken? Ihr Männer jener Zeit,
Die ihr euch festen Mutes dem Heldentod geweiht!
Dem Heldentod für Ehre, für Heimat, Pflicht und Recht,
Für Weib und Kind, für Tugend und künftiges Geschlecht. “
(Aus dem Lied der Urburschenschaft.)

Die vom Schicksal verschonten Bundesbrüder kehrten zurück an den verwaisten Herd ihrer zweiten Heimat und widmeten sich im Gefühl engster Zusammengehörigkeit der Neubelebung des Bundes. Ein im Kriege abgeklärter Geist zog in die stillen, bisher nur an überschäumendes Burschentum gewöhnten Mauern des Teutonenhauses ein und ernster Chorgesang schallte nach 5 langen Kriegsjahren wieder aus seinen Fenstern. Das alte Leben nahm langsam seinen Fortgang, betraut durch die ältern Semester, die sich im schnellen Wiedererstarken des fast aufgelösten Bundes die stolze Frucht ihrer anstrengenden Mühen vor dem Kriege pflücken konnten.

Wenn auch der Traum vom einigen Deutschland weiter denn je in die Ferne gerückt ist, zeigt doch der unter der Auswirkung des Niederganges des Deutschen Reiches erfolgte Zusammenschluß des österreichischen und der beiden deutschen Burschenschafter-Verbände (R.D.C. und D.B.) zu einem einzigen Verbande unter dem Namen “Deutsche Burschenschaft” den Weg, der künftig als der einzig gangbare zur Wiedergesundung unseres Volkes beschritten werden muß.

Auf westlichem Vorposten, die Bitternis heutiger Zeit in besetztem Gebiet als besondere Qual empfindend, wird sich die Burschenschaft “Teutonia” als Glied der Deutschen Burschenschaft ihrer Bestimmung erst recht bewußt bleiben und das in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen wissen. Wie die Gründung der Burschenschaft vor 100 Jahren in eine schwere Zeit fiel, wo das Vaterland noch stark unter dem Einflusse der erlittenen Demütigungen stand, stehen heute bei der völligen Machtlosigkeit unserer Staatsgewalt der Burschenschaft sehr große Aufgaben bevor.

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Alle jetzigen Angehörigen der Burschenschaft “Teutonia” werden daher unter Erfüllung ihrer Pflichten der Hochschule und Burschenschaft gegenüber das Wiedererstarken des Vaterlandes und des völkischen Gedankens besonders zu pflegen bemüht bleiben.

“Vivant sequentes usque ad ludos saeculares”

Katholischer Studentenverein Wiking.

Im Jahre 1904 auf Sommerfahrt stieß ein Boot vom Schiff Carolingia ab und steuerte eigenen Kurs. Darin saß ein Häuflein wagemutiger Gesellen, die nannten sich “Wikinger” und schrieben auf ihr rotgoldrotes Segel die Worte: “Virtus et veritas!”, das heißt trutzig für Wahrheit und Mannesehr. Der Wikingerbakk aus Esaias Tegnérs Frithjof war ihre Fahrtlegende und Pfiff, der Steuermann hatte sie ein Lied gelehrt, das sangen sie oftmals und waren voll hoher Begeisterung, zumal sie an die Stelle kamen, die da lautet

“Wild wie die Woge und fest wie das Erz
Und treu wie Gold ist das Wikingerherz,
Eilet zum Kampfe, eilet zum Ruhm,
Wikingerlos ist Heldentum!”

Freilich ahnten sie damals nicht, wie blutig sie dereinst ihr Heldentum beweisen sollten. Doch Helden wollten sie sein im Lebenskampfe, dem sie mutig und voll Siegeszuversicht entgegensteuerten. Und sie wurden Sieger, wo immer sie landeten, an den Lehrstühlen der Wissenschaft und in den Werkhallen der Arbeit, an Stätten festlicher Freude und auf den Plätzen kraftfroher Kämpfe in Spiel und Sport. Und waren fröhliche Sieger und wohlgelitten. Das zeigte die wachsende Zahl der Fahrtgesellen, bis 60 und darüber. Nicht Wappen trugen sie und farbiges Gewand, aber auf ihren Gesichtern stand ein Bekenntnis, das gute Menschen gerne lasen. – Du hast sie gesehn, wenn du ein Wanderer bist und schöne Wege weißt, klare Flüsse und stille Weiher im Walde, wenn du Burgen liebst und Schlösser, die einsam ragen, und hohe Felsen, die nur die Besten ersteigen können. Du fandest sie. wenn du die blaue Blume suchtest, wenn du Lieder und Lautenspiel vernahmst in stiller Mondnacht, und Minnegesang in eines Klausners Hütte, oder trutzige wie lustige Weisen im “Wehrhaften Schmied.

Und alle, alle fandest du, als das andere Lied erscholl, das Notlied des feindumstellten Vaterlandes. Sie waren an Bord, und die Wikingerdrachen stießen ins Meer nach Ost und West, nach Süd und Nord, getragen von der Hochflut vaterländischer Begeisterung. Doch nur zu bald erscholl der erste Wehruf: “Mann über Bord”, und scholl wieder und wieder, und weinend las die Heimat Wikings Trauerkunde:

Frugst einstens Wiking du nach rechten Fahrtgesellen,
Die unser Herz und Banner ließen höher schwellen.
Wir nannten in der stolzen Reihe obenan
Sie alle, die du liest hierunter Mann für Mann.
Was sie uns waren, uns und unserm Bunde,
Davon gibt Wikings Heldenbuch der Nachwelt Kunde.
Den Brüdern allen ist zu lesen es gegeben,
Doch blüht auch manchem Freund aus ihrem Burschenleben
Ein Sonntag, ein sel’ger Klang, ein kluges Wort
Als köstliches Vermächtnis tief im Herzen fort,
Der sie noch nicht vernahm, die Kunde schwarz und schwer,
So wisset denn auch ihr, die Freunde sind nicht mehr!—-
Es schlangen dicht und dichter sich die schwarzen Flore
Um Wikings stolze rotgoldrote Trikolore,
Und unsre Faust preßt sich um Schaft und Heldenbuch:
“Schicksal, halt ein! Der blut’gen Opfer sind genug!”

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Den Heldentod starben: P. Koselke, Aug. Keller, Georg Stahlhut, Fr. Bonefeld, Aug. Flerlage, Alf. Holbeck, Fr. Kuhlkamp, G. Moritz, Alf. Thölke, Robert Bücken, Alf. Bönninger, K. Köhler und Alf. Gasten. Nach Kriegsende starben an den Folgen von Kriegsverletzungen E. Papencordt und K. Klüwer. Dann kehrten kampfzerfetzte Drachen heim, und als die narbenvollen Helden aufgerufen wurden, da war es offenbar, daß Wikings zahlengeringe Mannschaft das größte Blutopfer gebracht hatte von allen Korporationen des Verbandes. Doch sieh, schon standen Jungmannen bereit, ein Dutzend und mehr, die bestiegen die Boote, und der alte Steuermann, der auch heimgekehrt war, stand dabei und hatte sein Latein noch lange nicht vergessen, denn er sprach:

“Si fractus illabatur orbis
Impavidum ferient ruinae. -“

Da ließ der alte Drache seine Augen rollen, die Schilde an Bord glänzten auf, und ein Leuchten stand auf den Gesichtern der Jungmannen, daß es eine Lust zu sehen war. Und Wikings Segelbanner bauschte sich in kühnem Bogen und wallte hoch und freudig auf einer bessern Zukunft entgegen.

H.K.

  1. Die Abhandlung stützt sich außer auf das Aktenmaterial der Hochschule und der Regierung zu Aachen auf Berichte einzelner studentischer Korporationen und auf mündliche überlieferungen. Wertvolle Dienste leistete die Geschichte der Landsmannschaft Normannia, die E. J. Havenith herausgegeben hat, mit dem ersten Teil von P. Kurgaß: Aachener Studentenleben anfangs der siebziger Jahre. []
  2. Die Vereinsgeschichte ist zusammengestellt aus den vielfach lückenhaften Akten des Vereins, die während des Krieges teilweise abhanden gekommen sind, aus dem Handbuch für die Mitglieder des Verbandes der kath. Studentenvereine Deutschlands von Dr. Karl Hoeber aus der Schrift von Dr. Hermann Cardauns: 50 Jahre Kartellverband (1863-1913) und aus dem Jahrbuch des Verbandes der kath. Studentenvereine Deutschlands 1920, das sämtliche Namen der Mitglieder unter Angabe der Lebensstellung enthält. Im folgenden ist absichtlich jede weitere Namennennung vermieden. []

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